Zwei Löwen bewachen die hölzerne Tür. Über eine steinerne, sich nach oben windende Treppe gelangt man zu einer Schatzkammer. Dieser Schatz ist jedoch nicht mit allem Gold der Welt aufzuwiegen – es sind Geschichten. Bücher, die die kleinen Besucher der Kinder- und Jugendbibliothek in der Erfurter Marktstraße 21 ihr ganzes Leben lang begleiten werden. Tausende von Seiten, die von Abenteuern auf See, frechen Drachenkindern und mutigen Prinzessinnen berichten.
Ich habe mich dort mit der „Wächterin der Bücher“, Bibliotheksleiterin Marina Glöckner, getroffen. Umgeben von bunten Bücherrücken, haben wir über das Lese- und Vorleseverhalten von und für Kinder gesprochen.
Wie wichtig sind Geschichten für Kinder?
Das Leben fängt schon mit Geschichten an. Eltern sprechen mit ihren Neugeborenen in einem bestimmten Rhythmus. Sie erzählen somit schon die ersten kleinen Geschichten.
Durch Geschichten wird die Welt ergreif- und erlebbar. Wir werden mit Geschichten groß.
Wann beginnt Leseförderung?
Mit dem Vorlesen fördern Eltern und Familie die Liebe zum geschriebenen Wort. Sie sind diesbezüglich erst einmal selbst gefordert und werden dann von öffentlichen Einrichtungen wie Kindergarten, Schule oder eben der Bibliothek unterstützt.
Eltern können in der Kinder- und Jugendbibliothek für ihre Kleinen ab 0 Jahren den Zwergenpass beantragen. So dürfen mit den Jüngsten die ersten Bilderbücher ausgeliehen werden. Diese Aktion erfreut sich schon viele Jahre großer Beliebtheit. Die Bibliothek als offener, lebendiger Wohlfühlort, ist für Familien mit Kleinstkindern eine gute Möglichkeit, gemeinsam zu lesen und zu verweilen.
In gemütlichen Ecken wird in Büchern geblättert, bunte Bilder mit großen Augen betrachtet und auf dem Bauteppich hebt ein Flugzeug ab. So kann der Ort Bibliothek ganz in Ruhe, ohne äußere Vorgaben kennengelernt werden. Die Kinder nehmen den Spaß am Buch und an dem gemeinsamen Lesen für die Zukunft mit.
Wann ist die beste Zeit zum Vorlesen?
Vorlesen kann man immer und überall. In einem erfüllten Familienalltag, zwischen Beruf, Kindergarten und Terminen, sind wohl aber die Abendstunden die beste Vorlesezeit. Dann kommt man zur Ruhe. Die kleinen Zuhörer haben den Vorleser ganz für sich. Gemeinsam können sie nun in tolle Geschichten einsteigen.
Wie kann man Kinder in das Vorlesen einbinden?
Vorlesen sollte nie einfach nur Vorlesen sein. Man muss auf die Kommentare und Fragen eingehen, Dinge wiederholen. Es ist also wichtig, das Gespräch zu suchen, und über das Gelesene zu sprechen.
Ein toller Tipp ist, um die Kinder für die Geschichte noch mehr zu begeistern, mit dem Rhythmus und der Lautstärke der Stimme zu arbeiten. Ich liebe es, Kindern vorzulesen und sie die große Freude an Büchern spüren zu lassen.
Was macht ein gutes Kinderbuch aus?
Es muss eine Geschichte haben, die die Kinder verstehen. Sie muss aus dem Alltag der Kinder kommen. Außerdem darf es nicht zu viel Text haben, muss in einem bestimmten Rhythmus vorgelesen werden können und es sollten klein- oder großflächige Bilder darin zu finden sein.
Wie wichtig sind Bilder?
Die Bilder in Büchern für Klein- und Vorschulkinder unterstützen nicht nur beim Erfassen des Inhalts und dem Vorlesen, sondern laden auch zum Betrachten ein. Durch eben dieses Betrachten der Formen und Farben finden die Kinder oftmals etwas, was nicht in der Geschichte steht – sie werden zu Entdeckern. Sie entdecken mit Hilfe der Bilder stets etwas Neues, sodass die Lieblingsgeschichte immer wieder spannend ist.
Bilderbücher können mit wenig Worten so viel sagen. Sie sind eine Fundgrube an spannenden und tiefgründigen Themen wie dem Umgang mit Gefühlen oder das Erleben von Freundschaft und Abenteuern.
Was sind die aktuellen Lieblingsbücher? Welche werden immer wieder gelesen?
Bei den Größeren stehen „Warrior Cats“, „Harry Potter, „Gregs Tagebuch“ und Tolkiens Werke hoch im Kurs. Auch „Das magische Baumhaus“ und „Die Schule der magischen Tiere“ werden sehr oft ausgeliehen.
„Der Grüffelo“ ist ein Lieblingsbuch der Jüngsten. Natürlich dürfen auf der Favoritenliste „Pettersson und Findus“ „Der kleine Drache Kokosnuss“ und die Zilly Hexenbücher nicht fehlen.
Die Begeisterung für die sympathische Mama Muh, die ihren skeptischen Krähenfreund mit der Freude an den aufregenden Dingen des Alltags wie Schlittenfahren oder Schaukeln anstecken möchte, teile ich mit den Kindern.
Was ist ihr Lieblingskinderbuch?
Ich mag die Werke von Astrid Lindgren. Man spürt in ihnen, wie sehr sie die Kinder schätzt und liebt. Jedes ihrer Kinderbücher fordert auf, Werte zu vermitteln, die die Kinder für ein glückliches Leben benötigen. Mit „Pippi Langstrumpf“ sagt sie, gebt Kindern Freiheit. In „Wir Kinder aus Bullerbü“ gibt sie Kindern ein Zuhause und „Immer dieser Michel“ hat so viel Ideen und Flausen im Kopf.
Astrid Lindgren vermittelt mit ihren Werken so viel Freude, Liebe und erinnert an die Rechte der Kinder.
Wie motiviere ich mein Kind, wenn es nicht so gerne liest?
Als Erwachsener sollte man den Kindern das Lesen nicht vorschreiben. Die Mädchen und Jungen müssen bei dem, was sie interessiert abgeholt werden. Ich frage sie oft als erstes, was ihnen Spaß macht. Ist es Fußball, dann gibt es ganz gewiss ein Buch mit diesem inhaltlichen Schwerpunkt. Dabei sollte das Buch nicht zu dick und die Texte nicht zu lang sein, damit das Kind schneller zu einem Erfolgserlebnis kommt. Comics eignen sich dafür sehr gut.
Die Bibliothek ist dabei der perfekte Ort, um sich ohne Zwang auszuprobieren. Während im Buchhandel oftmals die Eltern die Medienauswahl treffen, da sie sie finanzieren, können die Kinder in der Bibliothek selbst entscheiden, was sie lesen möchten.
Welchen Stellenwert hat das Lesen in den digitalen Medien? Steht das Buch in Konkurrenz mit PC und Co?
Das Medium Buch hat an Popularität nicht verloren. Es gibt Studien, dass sich im Social-Media-Zeitalter die Nutzung des analogen Buches nicht verändert hat.
Die Medienwelt ist vielfältiger geworden, das Buch ist und bleibt ein wesentlicher Teil davon.
Welche Veranstaltungen stehen fest im Kalender der Bibliothek?
Jeden 1. Mittwoch im Monat findet um 10.00 Uhr der Eltern und Kind- Vormittag statt. Es kommen Kinder vom Krabbel- bis zum Vorschulalter. In der gemeinsamen Zeit wird gelesen, gespielt und erzählt. Auch gemeinsames Singen und Fingerspiele machen viel Spaß.
Jeden 2. Donnerstag im Monat treffen wir uns in einer Bastelrunde zum Kreativnachmittag und an einem Samstag im Monat bringt der ehrenamtliche „Lese-Opa“ tolle Geschichten in das Leseland der Bibliothek mit.