Maximilian und der Waldkristall

Ein Dieb im Wald

Die Tür des kleinen Hexenhauses wurde mit einem kräftigen Schwung aufgerissen. „Er ist weg. Verschwunden. Nicht mehr da. Wir sind alle verloren!“ Hexe Gertrude musste erst ein paar Mal zwinkern, um im hellen Licht den schwer atmenden Raben Krah erkennen zu können.

Etwas verstimmt über die morgendliche Störung, erhob sie sich aus ihrem gemütlichen Schaukelstuhl. „Was platzt du hier so einfach herein? Wer ist verschwunden? Doch nicht etwa wieder dieser freche Fuchs?“ Das Hexlein hielt kurz inne und hob eine ihrer roten Augenbrauen. „Moment mal – warum sind wir verloren?“

Der Rabe ließ seine Flügel hängen. „Wenn es nur der Rotpelz wäre. Unser Waldkristall ist nicht mehr an seinem ehrwürdigen Platz im Stamm der uralten Eiche. Nun wird es unseren wunderschönen Wald wohl nicht mehr lange geben.“

Gertrude wurde sofort klar, wie ernst die Angelegenheit war. Aufgeregt lief sie auf und ab. Sie mussten ihn so schnell wie möglich finden.

„Aus ihm strömt die Kraft, welche die Pflanzen zum Wachsen brauchen. Vergeht sie, finden auch die Tiere ohne Baum, Gras und Strauch weder Nahrung noch Unterschlupf.“

Krah nickte zustimmend. „Es gibt keine Spuren, die auf den Langfinger hinweisen?“, wollte Gertrude aufgeregt wissen. Krah erzählte der Hexe, dass niemand den Dieb gesehen habe. „Das ist doch unmöglich. Komm, kleiner Rabe, das sehen wir uns genauer an“, sagte das wilde Mädchen, während sie sich im Gehen Hexenhut und Zauberstab schnappte.

Die alte Eiche stand von blaugrünen Tannen umringt, auf einer Lichtung. Es hieß, dass sie als Hüterin des Kristalls, schon seit Anbeginn der Zeit hier die Jahreszeiten überdauerte. Gertrude streichelte traurig den knorrigen Baumstamm. „Im stärksten Sturm, vor Blitz und Donner hast du den Kristall beschützt, doch nun hat ein gemeiner Dieb dir den Schatz entrissen.“

Die Hexe ging langsam um den Baum herum, die Augen fest auf den Boden gerichtet. An manchen Stellen hatte das die Eiche umgebende Gras schon seine zarte grüne Farbe verloren oder war ganz gewichen. Da entdeckte Gertrude Fußspuren auf der losen Erde. „Ein Schuhabdruck! Nicht so riesig. Es war ein Menschenkind“, stellte sie grummelig fest.

Krah kam von seiner Erkundungstour mit etwas über dem Flügel zurück. „Diese Jacke hat es wohl vergessen.“ Die Hexe nickte zufrieden. „Sehr gut. Dieser nach Mensch miefende Lappen wird uns für den Auffindzauber von Nutzen sein. Beeilen wir uns, damit er schnell wirken kann!“

Zurück in ihrem Hexenhaus, setzte sie den großen Kessel auf ein Feuer. Gertrude suchte sich von dem schiefen Holzregal in ihrer Küche, aus unzähligen kleinen Flaschen und Tiegeln mit stinkenden, krabbligen, wabbligen, zischenden Inhalten, etwas heraus. „Mal sehen, ob ich alles habe…“ Sie strich mit dem Finger über die schon etwas blassen, von Flecken übersäten Seiten des Zauberbuches ihrer Großmutter. „Etwas Froschschleim und Spinnenspucke, zwei Eidechseneier, die Tränen eines Glühwürmchens, Schnorchelwurz und zum Schluss ein Gegenstand aus dem Besitz des zu Suchenden“, las sie laut vor. Gertrude nickte zufrieden. „Alles drin. Bald ist es vollbracht!“

Im Hexenkessel zischte es und grüner Dampf entstieg der dunklen Flüssigkeit. Gertrude tanzte mit einem wilden Jauchzen drumherum und sang:

Kessel mein, Kessel fein, ich schau in dich hinein

und du zeigst mir, wo der Dieb mag sein!

Auf der zitternden Oberfläche erschien das Bildnis des neunjährigen Maximilian, der in seinem Baumhaus in eine Truhe schaute.  Aus der blitzte und leuchtete es. „Der Waldkristall!“, entfuhr es Krah. „Dieser Junge hat ihn und wir werden ihm mal einen netten Besuch abstatten. Auf den Besen mit uns lieber Rabe“, sagte Gertrude und schob ihn in Richtung Tür.

 

Maximilian war immer noch wie hypnotisiert von diesem grünen Licht. Schon als er es das erste Mal zwischen den Zweigen der Eichen hat hindurchschimmern sehen, hatte es ihn magisch angezogen. Er musste den Stein im Stamm des alten Baumes haben. Der Junge wusste nicht, um was er die Waldbewohner mit diesem beherzten Griff gebracht hatte.

Maximilian wollte den Stein seinem besten Schulfreund zeigen. Vielleicht hatte Tobias eine Idee, was man mit ihm anfangen könnte. Er hob den hühnereigroßen Kristall aus der Truhe und verstaute ihn in seinem Rucksack. Voller Elan setzte er den Fuß auf die erste Stufe der Strickleiter. Als der Junge nach unten schaute, kam ihm der Boden etwas weiter weg vor. Die Strickleiter reichte nicht mehr bis in das Gras hinein. „War der Baum etwa gewachsen?“, fragte er sich. Maximilian setzte den nächsten Fuß nach, da peitschte ihm ein Zweig ins Gesicht. „Ok, der war auf jeden Fall noch nicht dagewesen. Merkwürdig“, dachte er. Das letzte Stück musste Maximilian hinunterspringen. Ob das wohl mit dem Stein zu tun hatte? Er schüttelte ungläubig den Kopf und beeilte sich.

 

Gerade als Maximilian in den Schulbus einstieg, landeten Gertrude und Krah in seinem Garten. Das Hexlein hustete und prustete: „Phh, phh. Diese Menschenstädte sind einfach furchtbar: die ganze Abgase ihrer Autos und erst der Lärm!“ Krah schaute sich um. „Aber der Garten ist doch ganz hübsch. Hier gibt es bestimmt eine gemütliche Asthöhle. Ich könnte nach dem anstrengenden Flug ein kleines Nickerchen vertragen“, stellte der Rabe mit einem Gähnen fest. „Vergiss es, du fauler Vogel! Hast du vergessen, wie wichtig unser Vorhaben ist? Da vorne ist das Baumhaus. Schwing dich gefälligst wieder auf den Besen!“

Der Eingang des Baumhauses war mittlerweile durch grünende und blühende Pflanzenarme versperrt. Gertrude schmunzelte: „Der wird sich noch wundern, wenn ihm das alles hier um die Ohren wächst.“ Sie schwang ihren Zauberstab:

Grün grün Pflanzenallerlei,

mach für uns den Eingang frei!

Augenblicklich zogen sich die Ranken zurück. Die Hexe sprang in das Baumhaus hinein und schrie mit gruselkratziger Stimme: „Rück sofort den Waldkristall heraus, du lausiger Dieb! Und zwar schnell, bevor ich dich in das verwandle, was du wirklich bist: eine gemeine Kröte!“

Gertrude brauchte in ihrem Aufbrausen ein paar Sekunden, um zu begreifen, dass niemand da war. Inmitten des Raumes stand bloß eine große Truhe. Die Hexe öffnete sie mit Herzklopfen. Leer. Der Junge hatte sich mit dem Stein aus dem Staub gemacht. Gertrude lief vor Wut rot an. „Dich kriege ich noch Bürschchen!“

Der Auftrag

Gar nicht so netten Bürschchen stand währenddessen Maximilian gegenüber: der Bullenbrüderbande. Alle drei sahen jetzt auch wirklich aus wie die gehörnten Tiere. Breitbeinig und hämisch durch die Nase schnaufend, blaffte ihn Axel, der Chef der Truppe, an: „Wen haben wir denn da? Klein-Mäxchen. Rück sofort dein Taschengeld und am besten noch das Handy heraus!“ Maximilian schluckte schwer. Er hasste es, wenn man ihn so nannte. Nicht mal Oma durfte das.

Chris machte erst lässig eine Riesenblase mit seinem Kaugummi und dann einen bedrohlichen Schritt auf ihn zu. „Los doch. Oder bekommst du nichts mehr von Mami?“ Oskar brachte ein grässlich hämisches Lachen hervor, in das die anderen Zwei einstimmten.

Maximilians Angst verwandelte sich langsam in Wut. „Heute nicht. Heute kriegen sie mich nicht!“, hallte es in seinem Kopf. Er preschte nach vorne und wollte einfach durch sie hindurchrennen. Er gab einen kurzen, kräftigen Atemstoß von sich und lief los. Ihm gelang es auch, an den überraschten Jungs vorbeizuziehen. Die jedoch, sahen ihn nun von hinten und damit auch seinen Rucksack, aus dem es nur so blitzte. Mit zwei großen Schritten war Axel neben ihm und riss ihm den Rucksack von den Schultern.

Ein lautes Klirren ließ die Geräusche der Straße verstummen. „Neeeein!“, schrie Gertrude, die gerade noch sehen konnte, wie der Kristall nach einem kurzen Flug auf dem Boden in fünf Teile zerbrach .

„Ihr gemeines, tollpatschiges Menschenpack!“ Wütender denn je, schwang sie ihren Zauberstab und ließ kleine Blitze auf die vier Jungs niedersausen.

Die waren so erschrocken, dass sie sich in verschiedene Richtungen aus dem Staub machten. Nur Maximilian stoppte nach einigen Metern und versteckte sich in einer Gasse. Er wollte wissen, was es mit diesem seltsamen Mädchen auf sich hatte und was sie mit dem Stein zu tun hatte.

Gertrude kniete sich schwer atmend hin und sammelte die Bruchstücke des Waldkristalls ein. Sie zog die Stirn in Falten und betrachtete die langsam schwächer funkelnden Teile des Waldkristalls. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. „Was sollen wir jetzt bloß machen?“, schluchzte sie. Krah krächzte traurig: „Wir müssen es dem König des Waldes sagen. Er wird wissen, was zu tun ist.“ Gertrude schniefte: „Hagen Hirsch wird mich des Waldes verbannen. Er ist sowieso noch wegen dem Funkenzauber im Fichtendickicht sauer.“ Der Rabe schüttelte den Kopf: „Diesmal geht es um mehr, als um eine schusslige Hexe. Er muss und wird uns helfen.“

„Ich werde mitkommen und alles erklären.“ Maximilian kam aus seinem Versteck. Gertrude wurde rot vor Zorn. „Du hast uns das alles hier eingebrockt!“ Der Junge schaute verlegen zu Boden. „Ich wusste nicht, was ich da mitgenommen habe. Ich will es wieder gutmachen.“ Krah hüpfte auf Maximilian zu und betrachtete ihn von unten bis oben. „Der Langfinger wird uns von Nutzen sein. Er wird nicht nur ihre Majestät überzeugen, sondern auch helfen, wenn wir uns unbemerkt in der Menschenwelt bewegen müssten.“

Maximilian nickte eifrig mit dem Kopf. Sein Blick fiel auf die nicht gerade unauffällige Gertrude, die sich nun vor ihm aufgebaut hatte. Mit ihren orangefarbenen Augen, schien sie ihn durchlöchern zu wollen. Der Wind trieb sein Spiel mit ihren wilden Haaren. Eine Strähne kitzelte sie an der etwas vorstehenden Nase, sodass Gertrude laut niesen musste. „Haaatschi!“ Sie wackelte mit der Nasenspitze, während sie die Sache überdachte. „Also gut. Er kommt mit. Aber wehe, der Junge macht uns noch größere Schwierigkeiten!“

Maximilians Herz schlug schneller. Er würde ein Abenteuer erleben und war gerade dabei, sich auf einen echten Hexenbesen zu setzen! „Gut festhalten!“, jauchzte Gertrude. „Das wird der beste Flug deines kleinen bisherigen Menschenlebens! Los, mein süßer Wuschel, bring uns zurück nach Hause.“ Das magische Gefährt hob mit einem kräftigen Ruck vom Boden ab. Maximilian klammerte sich gleich an das wilde Mädchen und versuchte sich nicht unnötig nach links oder rechts zu lehnen. Seine Augen hatte er jedoch weit geöffnet, sodass er die Menschen, Straßen und Gebäude unter sich wie einen bunten Strom vorbeiziehen sah.

Langsam wurden die Häuser weniger und die Landschaft grüner. Die ersten großen Bäume tauchten vor ihnen auf – der Wald war erreicht. Jetzt wurde es ernst. Krah war schon vorausgeflogen, um sie bei seiner Majestät, Hagen Hirsch, anzukündigen. Gertrude landete den Besen sicher auf der großen Lichtung. „Überlass das Reden erst einmal mir.“ Die Hexe strich sich nervös über ihr viel zu großes Kleid. Maximilian stimmte sofort zu. „Wie sollte man auch das Gespräch mit einem Hirsch beginnen?“

Der König des Waldes trat aus dem Schatten der Tannen. Das prächtige Geweih auf seinem stolz erhobenen Kopf glänzte in der Sonne. Mit strengem Blick wartete er, bis die Ankömmlinge sich vor ihm verbeugt hatten.

Hagen unterbrach die Stille mit keinem Wort. Gertrude hielt die Spannung nicht länger aus: „Der Kristall wird wie neu sein und heller strahlen als je zuvor.“ Auch Maximilian konnte nicht mehr still sein: „Wir werden alles Nötige tun.“ Der Hirsch blies geräuschvoll Luft aus seinen Nüstern. „Das werdet ihr wohl auch müssen, sonst ist alles verloren. Hört jetzt genau zu:

Die Teile des Kristalls müssen in das heilende Wasser der Quelle des Seins getaucht werden. Diese befindet sich tief unter der Erde. Der Berg mit den zwei Spitzen verbirgt sie in seinem Inneren.“ „Das ist doch der Marienberg, der nicht weit von unserer Stadt liegt. Schon lange fahren nicht mehr Bergleute, sondern Touristen in den Schacht. Sie wollen die Lunagrotte sehen“, fiel es dem Menschenjungen ein. Hagen war nicht überrascht. „Ja, der Berg ist nicht schwer zu finden, dafür verbirgt sich die Quelle vor den Augen der Unwissenden. Wartet, bis der Mond am hellsten scheint und achtet dann auf die Zeichen. Mehr kann ich euch nicht sagen.“

„Danke, eure Majestät. Wir werden euch nicht enttäuschen“, versprach Gertrude mit fester Stimme. Hagen Hirsch senkte seinen Kopf leicht und verschwand wieder zwischen den dichten Tannenzweigen.

Maximilans Schultern fühlten sich auf einmal schwer von dieser großen Verantwortungslast an. Heute Morgen war er noch ein neugieriger Schuljunge. Jetzt würde er mit einer Hexe und einem Raben an seiner Seite, das Versprechen gegenüber dem König des Waldes einlösen müssen, um damit Pflanzen und Tiere zu retten. Er nickte einmal kräftig und wandte sich Gertrude zu. „Los, wildes Hexenmädchen, wir dürfen keine Zeit verlieren.“ Überrascht von dieser Entschlossenheit, nickte Gertrude und grinste über das ganze Gesicht.

Larilum larilei,

mein Wuschelchen komm herbei!

Als sie sich auf den Besen schwang, klimperten die Teile des zerbrochenen Kristalls in ihrem Beutel. Ein ängstlicher Gedanke stieg in Gertrude auf: „Hatte sie wirklich jedes kleine Stückchen eingesammelt?“ Die Hexe schüttete den Inhalt auf ihre rechte Hand: Ja, fünf Stücke. Aber halt, an einem fehlte ein mittelgroßer Splitter! Aufgeregt wandte sie sich an ihre Gefährten. „Ein Stück fehlt! Wir müssen erst noch einmal zurück!“

 

Axel wartete währenddessen nahe der Schule hinter einem Busch. Er war ebenso neugierig wie Maximilian gewesen. Er musste wissen, was es mit dem Stein auf sich hatte. Wenn das merkwürdige Mädchen schon solche Kräfte hatte und sich für das grüne Leuchtding so sehr interessierte, musste es wohl sehr wertvoll sein. Der Rabauke hatte wohl gesehen, dass die Drei ein kleines Teil vergessen hatten. Er rieb sich die Hände: „Die werden wiederkommen und dann schnappe ich mir alle Teile des leuchtenden Steins.“

Die Sonne stand schon hoch, als die Drei in die Straße einbogen. „Setz deine Kapuze auf Gertrude. Gleich ist Mittagspause und ich weiß nicht, wie man neugierige Kinder schnell loswird“, zischte Maximilian ihr ins Ohr. Die Hexe streckte ihm die Zunge raus, tat aber, was er gesagt hatte. Sie kreisten über dem Platz, auf dem der Kristall zersprungen war. „Von hier oben kann ich nichts erkennen. Kein Glitzern!“, rief Maximilian. Gertrude landete ihren Besen. „Wenn wir den Splitter nicht finden, brauchen wir uns erst gar nicht zur Lunagrotte aufzumachen“, sagte die Hexe enttäuscht. Axel spitzte in seinem Versteck die Ohren: Die Lunagrotte? Vielleicht war es jetzt noch der falsche Zeitpunkt für den Überraschungsangriff…

„Da, zwischen den zwei Pflastersteinen!“ Krah lief so schnell er konnte und flatterte mit den Flügeln. „Jaaa!“, jauchzte Gertrude. „Du hast ihn wirklich gefunden. Mein allerliebster Spürhundrabe!“, freute sie sich und gab ihm kleine Küsschen auf seinen gefiederten Kopf. Krah schüttelte sich. „Ist ja schon gut. Lasst uns weiterfliegen!“

DIe Lunagrotte

Zum Glück hatte Maximilian bei seiner Begegnung mit der Bullenbrüderbande nicht sein Portemonnaie herausgerückt. „Das macht 18,50 Euro, bitte“, sagte die Kassiererin an der Marienberggrube. Während Maximilian das Geld raussuchte, nickte Gertrude ihr freundlich zu, um möglichst als ein liebes Mädchen durchzugehen. Da blähte ein Niesen in der Mitte ihres Kleides dieses plötzlich etwas auf. „Was war das denn? Ich hoffe, sie haben da kein Tier oder einen anderen ungebetenen Gast versteckt. Haustiere sind im Bergwerk nicht erlaubt“, schnappte die Kassiererin nun nicht mehr so nett. Gertrude gab Krah unter ihrem Kleid einen Stupps. „Da hat sich wohl mein Magen gemeldet. Ich werde gleich eine Kleinigkeit essen.“ Die Dame an der Kasse verzog ihre Augen zu Schlitzen, ließ die zwei Kinder aber passieren.

„Das war ganz schon knapp Krah. Wegen einem Nieser alles vermasselt… Ich darf gar nicht daran denken“, motze Maximilian etwas. „Tut mit ja schrecklich leid, aber wer soll es bitte ohne einen Mucks unter diesem kratzigen, staubigen Stoffzelt aushalten!?“ „Hey, das Kleid habe ich erst ausgebessert“, verteidigte sich Gertrude.

Doch zum Weiterdiskutieren blieb keine Zeit. „Die Herrschaften bitte die Schutzmäntel anziehen und die Helme aufsetzen, jetzt geht es hinab in die Tiefe!“, rief ihr Bergwerkführer. Der Helm war etwas zu klein für Gertrude. Maximilian klopfte einmal auf die harte, weiße Plaste. „Jetzt passt er und vielleicht bekommst du gleich auch kein Ohrensausen, wenn wir im Fahrstuhl stehen.“ Die Hexe schaute ihn schief von der Seite an. „Vielen Dank. Pass nur auf, dass ich dir keine Sausekäfer in die Ohren zaubere.“

Unten angekommen, fuhren sie mit einer kleinen Bahn durch die steinernen Gänge. Die Augen hatten sich schnell an das schummrige Licht gewöhnt, angenehm kühl blies der leichte Fahrtwind in ihre Gesichter. Auf ihrem Weg in den Bergstollen, konnten sie ab und zu Gänge sehen, die in ein schwarzes Nichts zu führen schienen. Die kleinen Härchen auf Maximilians Armen stellten sich auf.

„Nächste Station ist die Lunagrotte. Lauschen Sie dem stetigen Rhythmus der beeindruckenden Tropfsteine und lassen Sie sich von dem Glitzern der farbigen Minerale verzaubern“, machte der Grottenführer neugierig. „Ihren Namen hat die Grotte bekommen, da die Strahlen der Mondgöttin Luna, bis in diese dunkle Tiefe reichen sollen.“

Majestätisch öffnete sich vor ihnen das glitzernde Gewölbe. Selbst der sonst so vorlauten Hexe fehlten bei diesem Anblick die Worte und sowieso die Spucke, um sie herauszubringen. In einem kleinen See spiegelten sich die mächtigen von der Decke hängenden Stalaktiten und die sich ihnen entgegen reckenden Stalakmiten. Die Drei sahen sich gründlich um. Sie mussten sich unbemerkt von der Gruppe trennen, um die Quelle suchen zu können, deren Zugang sich erst in der Nacht zeigte. Eine Absperrung verhinderte nicht nur, dass man in das kühle Nass des Sees fiel, sondern auch das Betreten der Grotte.

„Mach uns schon unsichtbar“, wisperte Maximilian. „Es geht gleich weiter zur Bergmannsstube.“ Die Hexe schüttelte ihren Kopf. „Und wie kommen wir an das andere Ufer?“ Ihr Blick wanderte über die Wände ohne Vorsprünge, dann langsam nach oben. „Fledermäuse! Ich verwandle uns in süße, graue Flattermänner!“ Ehe die anderen Zwei protestieren konnten, wurden sie schon von Gertrude in eine dunkle Ecke gezogen. Sie schwang ihren Zauberstab:

Wolkenblitz und Windgetöse,

sein wollen wir Fledermäuse!

Ein heftiger Windstoß ließ die weißen Mäntel der Besuchergruppe wehen. Drei Fledermäuse zischten mit kräftigen Flügelschlägen an ihnen vorbei und verschwanden in dem hinteren Teil der Lunagrotte. „Nanu. So weit unter der Erdoberfläche gibt es doch keine Fledermäuse“, bemerkte ein älterer Herr und begann seine große Brille mit dem Jackenärmel zu putzen, als habe er nicht richtig gesehen. Der Grottenführer zuckte mit den Schultern. „Wir befinden uns in der Lunagrotte. Womöglich gibt es doch eine geheime Öffnung des Berges, die es nicht nur dem Mondlicht ermöglicht, hier herunter zu gelangen. Nun ja. Würden die Herrschaften mir bitte zur nächsten Station, der Bergmannsstube, folgen.“

Kopfüber, aus schwarzen Knopfaugen, sahen die Drei die kleine Gruppe abziehen. „Wir haben es geschafft!“, freute sich Maximilian. „Toll. Aber wehe, ich bekomme mein schwarzes Federkleid und meinen glänzenden Schnabel nicht wieder“, maulte Krah. „Dieses weiche Fell, beginnt schon jetzt furchtbar zu jucken. Meine Beine sind zu kurz, damit ich mich kratzen kann.“ Er machte ein paar klägliche Versuche. Die kleine Hexe kicherte. „So ungeschickt, wie du dich anstellst, kannst du ja nicht lange eine Fledermaus bleiben.“

Die Quelle des Seins

Plitsch, plitsch, plitsch – die von der Steinen fallenden Tropfen zeigten den stetigen Rhythmus der Zeit an, die jedoch einfach nicht schneller vergehen wollte. Maximilians Augen klappten schon langsam zu. Er riss sie aber sogleich wieder auf, denn plötzlich erhellte ein grelles Licht die Dunkelheit.

Der breite, helle Schein fiel auf den See in der Mitte der Höhle und ließ ihn wie flüssiges Silber aussehen. War das schon die Quelle des Seins? Hatten sie das Ziel die ganze Zeit unbemerkt vor der Nase gehabt? Aber wo waren die Zeichen, von denen Hagen Hirsch gesprochen hatte?, fragte sich Maximilian und versuchte, sich nicht das kleinste Detail entgehen zu lassen.

Die starke Lichtquelle teilte sich in einzelne Strahlen, die langsam an den Wänden entlangwanderten. Der See erlosch, dafür glitzerten jetzt die Mineralien in den schönsten Farben. „Wie soll man bei dem ganzen Gefunkel etwas Nützliches sehen können“, schimpfte Gertrude.

Endlich begannen sich an einigen Stellen leuchtende, schwungvolle Linien abzuzeichnen. Sie zischten durch den Stein, als müssten sie rasch ein bestimmtes Ziel erreichen. Und wirklich: An einer steilen Wand sammelten sie sich und bildeten eine neue Form. Ein Tor! Das musste der Eingang zur Quelle des Seins sein!

Aufgeregt flatterten sie hinunter und landeten auf einem Felsvorsprung. „Tor hin oder her. Wie sollen wir das riesige Steinding aufbekommen?“ Fragend blickte Krah Maximilian und Gertrude an, die auch ziemlich ratlose Gesichter machten. Maximilian wollte seine Hände gegen die raue Oberfläche pressen und stellte fest, dass sie klein, schwarz und ledrig waren. „Als Fledermäuse werden wir das erst recht nicht hinbekommen. Gertrude, könntest du uns bitte wieder zurückhexen?“ „Oh, selbstverständlich:

Nieswurz und Krötenschleim,

Menschen wollen wir wieder sein.

Maximilian schüttelte sich. „Schon besser. Oaahh – ganz schön hoch hier!“ Er presste sich panisch an die Wand. „Lange können wir hier nicht bleiben.“ Gertrude wandte sich dem Tor zu: keine Buchstaben, keine Zeichnungen, die im Ansatz verrieten, was zu tun war. Das einzig Auffällige war ein großer, leuchtender Kreis in der Mitte des Tores. Die Hexe kratzte sich am Kopf. „Die Quelle des Seins… Ein Kreis.. Der ewige Kreislauf der Natur braucht die Energie der Quelle.“ Maximilian ergänzte: „Alles hängt miteinander zusammen… Lasst uns alle Drei die Hand, beziehungsweise den Flügel, auf den Kreis legen!“ Die Hexe und Krah nickten. Das war zwar bisher die einzige, aber immerhin eine gute Idee. Maximilian atmete tief ein. „Ich zähle bis drei: Eins, zwei …“

Das Licht wurde mit einem Mal so grell, dass alle Drei ihre Augen zusammenkneifen mussten. Das Tor drückte sich in die Steinwand und schob sich dann, wie von unsichtbaren Kräften gezogen, zur Seite.

Vor ihnen lag ein finsterer Gang. „Drinnen sind wir schonmal“, stellte Maximilian etwas ernüchtert fest, als er nichts weiter als Schwärze sehen konnte und ihn ein kühler Hauch frösteln lies. „Ach was, wer A sagt, muss auch mit dem B weitermachen. Oder so ähnlich“, sagte Getrude, brachte mit einem gemurmelten Spruch die Spitze ihres Zauberstabes zum Leuchten und schritt mutig voran.

Langsam tasteten sich die Anderen hinter ihr an den rauen Wänden entlang. Nach einer Weile, vernahm Maximilian hinter sich einen dumpfes Geräusch und dann ein ärgerliches Flüstern. „Hey, Krah, Gertrude! Habt ihr das auch gehört?“ Krah nickte ängstlich. „Ob es hier wohl Geister oder böse Bergzwerge gibt, die uns schaden wollen?“ „Ach, hört doch auf ihr Angsthasen. Das war doch nur der Wind. Kommt weiter!“, rief die Hexe. Maximilian war sich trotzdem nicht so sicher und beeilte sich noch etwas mehr.

Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis sie schließlich das Ende des Ganges, die Haare von Spinnennetzen verklebt und die Schuhe mit Staub bedeckt, erreicht hatten. „Vorsicht!“, rief Gertrude. „Hier ist ein Abgrund!“ Von ihrem plötzlichen Abbremsen war ein Stein in die Tiefe gefallen. Die Freunde standen still, um den Aufprall hören zu können. Sie mussten lange warten, bis ein leises „Pling“ zu hören war. „So weit geht es runter. Es ist unmöglich, da hinüber zu gelangen“, sagte Maximilian verzweifelt und ließ sich auf den harten Boden plumpsen.

Im selben Augenblick, krochen wieder die hellen Linien durch den Stein und sammelten sich in einem hellen Lichtball, der über dem Abgrund schwebte. Darin wurden die Umrisse einer Gestalt sichtbar. Sie löste sich aus dem Licht, damit man sie in ihrer ganzen Pracht sehen konnte. „Eine Mondfee“, entfuhr es Gertrude.

Das schöne Mädchen lächelte leicht. Ihr langes, silbernes Haar umhüllte sie wie ein Seidenmantel. Ihre Wangen und Flügel waren von glitzerndem Mondstaub bedeckt. Alles an ihr schien so fein und zerbrechlich. Doch ihre glockenklare Stimme war es nicht: „Ihr wollt doch nicht etwa so kurz vor dem Ziel aufgeben? Seit vielen Jahrhunderten bin ich nun schon die Wächterin der Quelle des Seins. Euer Vorhaben ist gut und rein. Ihr habt es zusammen bis an diese Stelle geschafft. Könnt ihr nun mein Rätsel lösen, will ich euch gerne Zutritt verschaffen.“

Gertrude schüttelte ihre Locken. „So sind die Feen: Sie lächeln dir ins Gesicht und haben doch Tricks auf Lager.“ Maximilian wandte sich seiner Hexenfreundin zu. „Wir werden dieses Rätsel lösen. Ich weiß, dass wir es können. Ohne Tricks. Vergiss unsere Aufgabe nicht. Ohne den Stein ist der Wald verloren.“ Gertrude schnaubte leise. „Wie könnte ich das vergessen?“ Entschlossen drehte sie sich zur Mondfee um. „Nun stell uns schon dein Rätsel.“

Die Mondefee nickte.

Es tut der Mond, es tut die Sonne,

Der Teig und auch das Herz voll Wonne,

Die Tür, die Blume und die Naht,

Die Knospe und stets auch die Saat.

„Nun meine tapferen Gefährten, was tun sie alle?“ Maximilian überlegte, aber ihm wollte einfach nichts Sinnvolles einfallen. Was hatte eine Knospe mit Mond und Sonne zu tun? Seine Finger und Füße begannen zu kribbeln, und gleichzeitig fühlte er sich wie mit dem Boden verwachsen. Die Angst hatte ihn ergriffen. Gertrude hingegen konnte nicht stillstehen. Wie ein Tiger im Käfig lief sie vor dem Abgrund hin und her, gefolgt von dem flügelschlagenden Krah. Plötzlich blieb sie aber stehen. „Aufgehen! Natürlich, die Lösung ist das Aufgehen. Dann erhellen Mond und Sonne den Himmel, Herzen schlagen schneller und aus der Saat erwächst das Korn!“

Die Mondfee kam näher und landete vor den drei Gefährten. „Das ist die richtige Antwort.“ Sie hob ihren silbernen Zauberstab und der große Mondstein an dessen Spitze, füllte sich mit kleinen Lichtpunkten. Durch eine schwungvolle Bewegung der Fee, sprangen sie wie Funken aus diesem heraus und bildeten eine Brücke aus Licht, die über den Abgrund führte. Gleichzeitig öffnete sich auf der anderen Seite die Felswand und gab den Blick auf einen kleinen Wasserfall frei, der sich in ein steinernes Becken ergoss.

Die Drei wurden von dem schimmernden Blau der Quelle magisch angezogen und setzten, ohne es richtig zu bemerken, Schritt um Schritt. In der Mitte der Lichtbrücke, wurden sie von der Mondfee aus ihrem Sehnen gerissen: „Halt, meine Freunde. Ich muss euch noch etwas mit auf den Weg geben: Achtet darauf, dass ihr nur die Bruchstücke des Waldkristalls in die Quelle des Seins taucht.

Wer oder was mit dem Zauberwasser in Berührung kommt, wird zu dem, was er wirklich ist. So mancher wurde verwandelt und hat sich danach selbst nicht wiedererkannt.“

„Danke Mondfee“, sagte Maximilian. Er wollte noch mehr Fragen stellen, die jetzt in seinem Kopf aufploppten wie Seifenblasen, doch das zarte Geschöpf hatte ihm schon den Rücken zugekehrt. Sie schwebte auf der Lichtbrücke zurück. Dabei löste sich ihre Gestalt langsam in deren Schein auf. Maximilian stieß einen kleinen Überraschungslaut aus. Er konnte immer noch nicht recht begreifen, was hier mit ihm geschah. Vielleicht war das alles ja doch nur ein Traum und er würde gleich in seinem Baumhaus aufwachen. „Komm, trödel nicht“, Gertrude stupste ihn unsanft in die Seite. „Ok, das fühlte sich doch recht real an“, dachte er grummelig und beeilte sich Krah und der Hexe zu folgen.

Der Zauber der Quelle

Aus der Felswand stürzte das magische Wasser in die Tiefe. Eigentlich sollte es sich in dem Becken vor ihnen sammeln, doch so oft sie auch zwinkerten, sie konnten keine Begrenzung mehr erkennen. Aller zerfloss vor ihren Augen. „Alles ist eins“, flüsterte Gertrude. Eine Weile standen sie so da, ohne ein weiteres Wort zu sagen. Dann fiel Krah wieder ein, warum sie eigentlich hier waren: „Der Stein, Gertrude, wir haben nicht mehr viel Zeit.“ Die Hexe schüttelte sich kurz und griff in ihre Tasche. „Richtig.“ Hell glitzerten die Bruchstücke im Glanz der Quelle. Vorsichtig ließ Gertrude sie in das kühle Nass hinabgleiten.

Die Freunde nahmen mit einem Mal ein lautes Summen war: Die Quelle sammelte ihre Kräfte. Kleine, helle Lichtpunkte, schienen von überall zu kommen und hüllten die Teile des Steins ein. Umgeben von strahlend blauem Licht, erhoben sie sich in die Höhe und fügten sich wieder zu einem Ganzen, dem Waldkristall, zusammen.

Vorsichtig griff Maximilian nach dem wertvollen Stein. Er war perfekt: keine Risse, keine Kratzer. Das Herz des Jungen tanzte vor Freude und Erleichterung. „Jetzt aber nichts wie nach Hause. Ich will endlich aus dieser Zauberhöhle hinaus und mich zwischen meinen sicheren Bäumen wissen“, krächzte Krah.

Sie wandten sich zum Gehen und … standen der Bullenrüderbande gegenüber. „Na, wo wollen wir denn so schnell hin?“, fragte der Chef Axel. Ein hämisches Grinsen ließ sein Gesicht noch fieser aussehen. Maximilian stockte der Atem. Dann flogen die Wörter nur so aus seinem Mund heraus: „Wie kann das sein? Was macht ihr hier unten? Wie konntet ihr uns folgen?“ Axel lacht laut. „Wir sind eben auch nicht auf unsere hübschen Köpfchen gefallen. Natürlich hatte ich den fehlenden Splitter auf dem Boden bemerkt. Danach war es ein Leichtes, euch bis hierher zu folgen.“

Maximilian hatte den Waldkristall immer noch in seiner Hand. Begierig heftete sich Axels Blick auf den grünen Stein. „Rück ihn schon heraus. Wir wollen jetzt auch ein bisschen Spaß mit dem Klunker haben!“ „Dann holt ihn euch doch!“, rief Gertrude und ließ den Stein durch die Luft schwirren.

Axel schnippte mit den Fingern. Sofort rannten seine Kumpanen wie Hunde, die man von der Leine gelassen hatte, los. Jetzt war es Gertrude, die schadenfroh kicherte, denn die zwei Jungs jagten mit wilden Sprüngen vergebens dem Stein hinterher. „Dummköpfe!“, schrie Axel. „Ihr müsst euch den Zauberstab der Hexe schnappen. Alles muss man alleine machen.“ Jetzt setzte auch er sich in Bewegung und hielt genau auf Gertrude zu. Im Gegensatz zu Gertrude, hatte Maximilian jedes Wort von Axel verstanden und war blitzschnell neben seiner Freundin. Mit einem kräftigen Sprung, stieß er sie zur Seite.

PLATSCH! Statt Gertrude und ihren Zauberstab in die Finger zu bekommen, war Axel in dem Becken der Quelle des Seins gelandet, vor dem die Hexe eben noch gestanden hatte. Wieder ertönte das Summen. Da wurde Axel auch schon in die Luft gehoben, als sei er so leicht wie eine Feder. Unter den verängstigten Blicken seiner Bullenbrüder, wuchsen Axel Schweineohren, seine Nase formte sich zu einem Rüssel und ein Ringelschwänzchen brachte seine Hose zum Platzen. Mit einem verzweifelten „Quiiiick“ landete er wieder auf dem Boden. Maximilian erinnerte sich an die Worte der Mondfee:

„Wer oder was mit dem Zauberwasser in Berührung kommt, wird zu dem, was er wirklich ist.“

Nun waren Chris und Oskar gar nicht mehr so mutig und dachten nicht daran, ihrem Chef, halb Schwein, halb Junge, aus der Patsche zu helfen. Sie nahmen ihre Beine in die Hand und flohen mit panischem Geschrei. „Super, wenn man so gute Freunde hat“, wandte sich Maximilian an Axel und fragte Gertrude, ihn nicht aus den Augen lassend: „Was machen wir jetzt mit ihm?“ Verzweifelt deutete Axel auf den Zauberstab. „Einen Rückverwandlungsspruch kenne ich nicht. Das ist die Magie der Quelle. Ihre Majestät Hagen Hirsch wird mehr wissen“, antwortete Gertrude. Krah hüpfte zu Axel und krächzte: „Obwohl er unsere Hilfe gar nicht verdient hätte.“ Maximilian zuckte mit den Schultern und sagte zu Axel: „Es wird Strafe genug sein, wenn du noch ein wenig länger in dieser wunderschönen Gestalt bleibst. Folge uns durch die Stadt, in den Wald. Das kannst du doch so gut.“

Licht, leuchte!

Zurück in der Lunagrotte merkten sie, dass es schon wieder Tag sein musste, denn hinter dem Geländer stand die nächste Besuchergruppe. Die staunten nicht schlecht, als sie die Vier am anderen Ufer stehen sahen: einen völlig zerzausten Maximilian, die wilde Gertrude, einen Raben und einen Jungen, mit einem Bergmannskittel verhüllt.

Sie wurden aus der misslichen Lage errettet und wieder sicher an die Erdoberfläche gebracht. „Ich weiß nicht, wie ihr das geschafft habt, aber ich will euch nie wieder hinter der Absperrung sehen. So eine Grotte birgt auch viele Gefahren!“, wurden sie von dem Bergwerkführer ermahnt. Alle nickten scheinbar schuldbewusst und dachten sich: „Wenn der wüsste, was sich dort unten noch verbirgt.“

Als sie außer Sichtweite waren, holte Gertrude ihren geliebten Besen aus einem Busch in der Nähe. „Ha, genau noch da, wo ich ihn abgestellt hatte. Maximilian steig auf. Krah, mach dich bereit für den Abflug.“ Mit einem schelmischen Glitzern in den Augen schaute sie zu Axel. „Unser kleiner Schweinchenfreund ist leider etwas zu schwer. Du musst leider zu Fuß gehen.“ Die Hexe lachte und ließ ihren Besen in die Lüfte steigen.

„Hat er uns aus den Augen verloren?“, fragte Maximilian. Nun doch etwas ungeduldig, warteten sie am Rand des Waldes. „Nein, hat er nicht“, rief Krah ihnen zu, der von seinem Baum aus Axel mit wehendem Kittel erspäht hatte. Japsend kam der Junge mit der Schweinenase an. Gertrude konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. „Na dann sind wir ja vollständig.“

Auf der Lichtung der alten Eiche erwartete sie schon Hagen Hirsch. Mit einer tiefen Verbeugung überreichten ihm die Abenteurer den Waldkristall. „Ihr habt es also wirklich geschafft. Als Einheit konntet ihr die Mondfee überzeugen. Ich bin sehr stolz auf euch.“ Der König des Waldes senkte vor ihnen sein Geweih. Auf der Lichtung wurde es muckmäuschenstill. Ihre Majestät hatte den drei Gefährten die größte Ehre erwiesen.

Er hob seinen Kopf und wandte sich an Maximilian: „Nun junger Mann, beende, was so unglücklich begonnen hat. Setze den magischen Stein wieder an seinen Platz.“ Maximilian zögerte nicht. Er nahm den Waldkristall und drückte ihn in die leere Vertiefung im Stamm der Eiche. Sofort leuchtete der Kristall wieder in seinem strahlenden Grün.

Es schien ihnen, als würde die Natur aufatmen. Um den Stamm herum begann das Gras zu wachsen und die ersten Blumen reckten ihre Blüten gen Sonne.

„Quieeeck!“ Jäh wurde die freudige Stille unterbrochen. „Axel! Wir haben ja Axel ganz vergessen“, bemerkte Maximilian erschrocken. Er schob ihn vor Hagen Hirsch. „Eure Majestät, dieser Junge wollte uns den Kristall stehlen, ist aber bei dem Versuch in die Quelle des Seins gefallen. Was sie mit ihm oder besser, aus ihm gemacht hat, seht ihr hier vor euch.“

Bedröppelt schaute Axel auf seine Füße. Hagen senkte seinen strengsten Blick auf ihn. „Mit einem Zauberspruch kann er nicht erlöst werden.“ Axel zuckte vor Schreck zusammen. Doch Hagen Hirsch war noch nicht fertig: „Er muss selbst bereuen, was er getan hat. Erkennen, dass es falsch war. Nur dann fällt das Schändliche von seiner Gestalt ab.“

Axel überlegte nicht lange und schritt auf die Drei zu. Seine verzweifelten Quieckgeräusche verstanden sie nicht, aber der Ausdruck in seinen Augen, sagte dafür umso mehr. „Er scheint es ernst zu meinen“, sprach Maximilian aus, was die Anderen dachten.

Kaum hatte er das gesagt, vernahmen sie wieder ein lautes Summen. „Wie in der Höhle“, stellte Krah fest. Diesmal war es nicht die Quelle, sondern der Waldkristall, der Axel mit seinem Licht erfasste. Wieder ging es für ihn hinauf, aber nun kam er als ganz normaler Junge wieder herunter.

Noch etwas ungläubig betastete er Gesicht, Kopf und Hose. Dann lachte er erleichtert. „Danke Leute, das werde ich euch nie vergessen.“ Maximilian schaute ihn immer noch streng an. „Und du wirst auch keine anderen Kinder mehr auf dem Schulhof mit deiner Bullenbrüderbande belästigen?“ Axel nickte heftig. Gertrude baute sich vor ihm auf. „Wehe du lügst! Ich kann dich jederzeit in einen Frosch verwandeln.“ „Dddas wird nicht nnnötig sein“, stotterte er. „Und jetzt entschuldigt mich bitte, ich sollte meiner Mama noch beim Kuchenbacken helfen.“ Kopfschüttelnd sahen Maximilian, Gertrude und Krah dem Burschen hinterher, wie er mit schnellem Schritt im Wald verschwand.

Auch ihre Majestät und die anderen neugierigen Tiere hatten die Lichtung verlassen. Der Sonnenschein fiel auf die friedliche Natur, als wäre nichts gewesen.

Von außen gesehen, standen sie noch eine Weile stumm da und betrachteten die Eiche, doch in ihren Köpfen schwirrten die letzten Ereignisse herum, sodass einem schwindelig werden konnte.

Gertrudes Mundwinkel hoben sie langsam nach oben und ihre Finger begannen zu kribbeln, was sie immer taten, wenn sie etwas Neues in Schilde führte. „Naaa, jetzt sollen unsere gemeinsamen Abenteuer doch wohl nicht etwa vorbei sein? Wollen wir dem Sumpfmonster nicht einen kleinen Besuch abstatten?“