Einmal Ritter sein

Ulrich trat wütend gegen einen Baustamm. „Du bist der Sohn eines Bauern und wirst niemals ein Ritter sein“, machte er die tiefe Stimme seines Vaters nach. Dieser Tage veranstaltete ihr Lehnsherr, Adalbert von Wolfshagen, ein Turnier auf seiner Burg. Die größten Ritter des Landes sollten sich im Lanzen- und Schwertkampf messen. Anstatt sich den großen Herren zu beweisen, damit sie ihn, auch wenn er von nicht hoher Geburt war, als Knappe aufnahmen, musste er die Sau Berta im Wald ausführen.

Mürrisch sah er dem rosa Tier zu, wie es mit seiner Schnauze im Dreck nach Leckerbissen suchte. „So werde ich niemals Abenteuer erleben.“ Er schloss die Augen und stellte sich vor, wie er einem gefährlichen Drachen in die Augen blickte, mit dem Schwarzen Ritter die Lanze brach und tapfer sein Land verteidigte. Ein zufriedenes Grunzen riss Ulrich jäh aus seinen Tagträumen. Berta hatte sich anscheinend satt gefressen und machte es sich auf Moospolstern für ein Mittagsschläfchen bequem. Der Bauernsohn gähnte. „Die erste gute Idee, die du heute hast. Wenn hier sowieso nichts Spannendes passiert, kann ich mich auch ein wenig von der harten Arbeit mit dir ausruhen“, sagte er und kuschelte sich an ihren dicken Bauch.

Der Schlaf war jedoch nicht von langer Dauer. Von oben zischten Tannenzapfen herab, die ihn hart an Kopf und Schulter trafen. „Hey, was soll das?!“, schrie er ärgerlich. In den Wipfeln über ihm knackte es. Ein heller Glitzerball löste sich von einem Baum und hielt direkt auf ihn zu.

Als er näher kam, dachte Ulrich, er täusche sich, denn er meinte, darin ein Mädchengesicht zu erkennen. So fein und zart, dass es im hellen Glanze gleich wieder zu verschwinden drohte. Das fliegende Etwas landete auf seinem rechten Knie. Das Licht wurde schwächer und tatsächlich: ein klitzekleines Mädchen in einem grünen Kleid, ihr blondes Kringelhaar mit Blüten geschmückt, blickte ihn wütend an.

Rosalie legte ihre Flügel zusammen und stampfte so kräftig sie konnte auf. „Du schnarchst so laut, dass die Bäume wackeln! Wegen dir ist mir der Schmetterling davongeflogen, dem ich die Flügel neu bemalen sollte.“ Ulrich brachte kein Wort hervor. Er musste sie die ganze Zeit nur anstarren. „Schau nicht so dumm drein! Jetzt muss ich dir auch noch einen Wunsch erfüllen, da du lautes Menschenkind, mich Feenwesen, gesehen hast“, stellte sie mit einem Stirnrunzeln fest. Dazu allerdings fiel Ulrich etwas ein: „Heißt es nicht, dass einem eine Fee drei Wünsche erfüllt?“ Rosalie schnappte: „Jetzt werd mal nicht frech! Du hast einen Wunsch. Sag ihn schnell, damit ich meiner Arbeit wieder nachgehen kann.“ Der Bauernsohn musste nicht lange überlegen: „Ich will als prächtiger Ritter an dem Turnier von Adalbert von Wolfshagen teilnehmen.“ Die Fee kicherte und schnippte mit den Fingern.

Etwas lag schwer auf seinen Schultern. Es schien ihn, tief hinab ziehen zu wollen. Die Luft zum Atmen war knapp, die Außenwelt konnte er nur durch einen schmalen Schlitz sehen. Der Boden schwankte. „Hier mein Herr, Eure Lanze“, sagte ein sommersprossiger Junge und drückte sie ihm in die eiserne Hand.

Langsam begriff der Bauernsohn, wo und was er war. Die Fee hatte es tatsächlich möglich gemacht! Er steckte in einer Rüstung. Das leichte Schwanken verursachte sein Pferd und die gedämpften Stimmen kamen aus dem Publikum, das gespannt auf den Schaukampf wartete.

Dann sah er ihn: Der Schwarze Ritter brachte sich auf der anderen Seite in Position. Ulrich meinte, sein Herz gegen das Eisen schlagen zu hören. Das Startzeichen erklang. Der Knappe gab dem Pferd, das nicht gleich losreiten wollte, einen Klapps. Der Braune sprengte nach vorne. Ulrich sah seinen Gegner ebenfalls mit einem rasenden Tempo auf sich zukommen, mächtig und furchteinflößend. Die Lanze auf seine Brust gerichtet.

Panik ergriff den Bauernsohn. Wie konnte man das Ganze stoppen? Er wollte die Englein noch nicht singen hören. „Fee hilf mir!“, schrie er und zog mit voller Kraft an den Zügeln. Sein Pferd grub die Hufe tief in den Sand. Ulrich konnte sich nicht mehr halten. Er fiel….

und landete im weichen Moos des Waldes. Ihm schwindelte. „Ist das schon der Himmel?“, fragte er und blickte auf die weißen vorüberziehenden Wolken auf hellem Blau. Er schüttelte seinen Kopf, um wieder einen klaren Gedanken fassen zu können. Rosalie saß vor ihm auf einem Ast und kringelte sich vor Lachen. „Doch nicht der große Held, was?“, japste sie. Ulrich sah an sich herab. Er trug wieder seine alten Kleider, als wäre nichts gewesen.

In dem Jungen, begann es zu brodeln. „Das hast du doch alles mit Absicht gemacht!“, schrie er. Jetzt wurde auch Rosalie ärgerlich: „Was erlaubst du dir? Das hast du dir alles selbst zuzuschreiben, du kleiner Feigling!“ Der Bauernsohn schnaubte: „Verschwinde, ich brauche dich nicht!“ Er schnappte sich Bertas Seil und und stapfte aus dem Wald. Enttäuscht war er. Vom Rittersein, von Rosalie, aber am meisten von sich selbst. Sein Vater hatte doch Recht gehabt: Er würde nie ein Ritter sein, selbst mit Hokuspokus nicht!

Abends saß Rosalie auf dem Fensterbrett von Ulrichs Zimmer und betrachtete traurig den schlummernden Jungen. Ein bisschen tat er ihr schon leid.

Lustlos rührte Ulrich am nächsten Tag mit dem Holzlöffel in seinem Hirsebrei. „Nicht faulenzen. Die Schafe müssen auf die Weide“, spornte sein Vater ihn an. Ulrich erhob sich langsam und trottete zum Stall.

Die Sonne trat gerade ihren Mittagslauf an, als er die saftige Wiese im Luisental erreicht hatte. „Ich muss mir die ganze Sache wirklich aus dem Kopf schlagen“, dachte er bei sich, während er die grasenden Schafe betrachtete. Es gab schließlich Wichtigeres. Er blickte hinauf. Der Himmel über der Weide versprach nichts Gutes. Dunkle Wolken waren aufgezogen. Womöglich gab es bald ein Gewitter.

Er erhob sich, um die Schafe wieder zurückzuführen und sagte laut: „Vielleicht habe ich das alles ja auch nur geträumt.“ „Hast du nicht.“ Der Bauernsohn erschrak. Rosalie schwebte vor seiner Nase auf und ab. „Du schon wieder. Mach dich bloß von dannen“, brummte Ulrich. Rosalie schmollte: „Ja, es war nicht das perfekte Ritterabenteuer. Aber ich kann dir doch trotzdem das Leben etwas leichter machen und dir beim Schafehüten helfen.“

Die ersten schweren Tropfen fielen, doch Rosalie ließ sich von ihrem Vorhaben nicht abbringen. Sie flog zu einem Lamm. „Na, du süßes Wollknäuel“, zwitscherte sie. Das Lamm jedoch erschrak und lief mit flinken Hufen in den nahegelegenen Wald.

Ulrich hatte die restlichen Schafe schon zusammengetrieben. Er sah das weiße Tier gerade noch in dem Dunkel der Bäume verschwinden. „Na toll, jetzt muss ich es erst wieder zurückholen. Warte hier und pass wenigstens auf die Herde auf!“, schrie er durch das mittlerweile laut gewordene Donnergrollen.

Die dichten Äste der Bäume hielten den Regen etwas ab, aber der Wind trieb ihm die Tränen in die Augen. Nur mühsam kam der Junge voran. Ulrich musste das Tier finden. Sein Vater verließ sich doch auf ihn.

Endlich. Das Lamm hatte sich in einem hohlen Baumstamm versteckt. Behutsam nahm er es in seine Arme und flüsterte ihm ins Ohr: „Keine Angst, ich hab dich.“

Ungeduldig wartete Rosalie bei den anderen Tieren. „Du hast es geschafft!“, jauchzte sie. „Schon gut“, entgegnete Ulrich, mit ein bisschen Stolz in der Stimme. Ein Problem war gelöst, aber wie kamen sie bei diesem Unwetter sicher mit den Schafen zum Hof zurück? Rosalie überlegte kurz. „Es ist zwar kein direkt ausgesprochener Wunsch, aber ich werde einen Schutzzauber anwenden, der uns vor Regen, Wind und Blitzen bewahrt. Schließlich will ich ja auch schnell ins Trockene“, sagte sie mit einem Augenzwinkern.

Die Fee schwang ihren Zauberstab dreimal um ihren Kopf, drehte sich dabei mit im Kreise, sodass ihr kleines, grünes Kleid nur so flatterte. Aus diesem Schwung entwickelte sich ein großer, schimmernder Ball als eine Schutzhülle, die die Gruppe nun umgab. Ulrich kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. „Na, habe ich zu viel versprochen? So und jetzt Mund zu. Wir müssen uns beeilen, sonst kommen wir noch zu spät zum Abendbrot“, forderte Rosalie ihn auf.

So kamen sie sicher und trocken an ihrem Ziel an. Die Mutter und der Vater hatten sich große Sorgen um Ulrich gemacht. Sie schlossen ihren Sohn überglücklich in die Arme. Der Vater wunderte sich zwar etwas über die trockene Kleidung des Jungen bei diesem starken Regen, fragte aber nicht weiter nach, schließlich war er heile angekommen. Rosalie betrachtete mit einem zufriedenen Lächeln die Zusammenkunft von der Ferne aus.

Später saß Ulrich auf seinem Schlaflager und schaute den Mond an. Sacht landete die kleine Fee auf seiner Bettdecke. „Du warst heute ziemlich mutig“, flüsterte sie. „Ganz ohne Rüstung und Zauberei.“ „Hmm“, machte Ulrich. „Man braucht die Ritterwürde nicht, um sein mutiges Herz zu beweisen. Die Stärke ist schon in dir. Du kleiner Bauernsohn, wirst noch viele Abenteuer erleben. Sei dir gewiss, dass ich in einigen davon auftauchen werde“, versprach Rosalie ihm und flog zum Fenster hinaus. Ulrich blickte ihr glücklich nach. „Und ich freue mich schon darauf.“