Der schwarze Fangzahn

Langsam ging die Sonne über Schloss Schattenfels auf. Der kleine Vampir Frederik gähnte. „Zeit für ein Schläfchen, damit ich heute Nacht fit für meine Flugübungen bin“, murmelte er und stellte einen Fuß in seinen gemütlichen Sarg. Da erschien mit einem „Puff“ seine Mama aus einer weißen Rauchwolke. Griselda Vampir schaute ihren Sohn mit strengem Blick an: „Du wolltest dir doch gerade die Zähne putzen, oder?“

Frederik machte ein Knurrgeräusch. Er mochte das Zähneputzen nicht besonders. Es war langweilig und man musste den Mund immer so weit aufmachen. Er überlegte kurz und flunkerte: „Ich habe sie mir schon geputzt.“ Griselda nickte zufrieden und streichelte dem kleinen Frechdachs über den Kopf. „Du weißt, dass Vampire immer schön weiß leuchtende Zähne haben müssen. Und du willst doch schon ein großer Vampir sein, oder?“ Frederik machte den letzten Knopf an seinem Fledermausschlafanzug zu und nickte. Mama gab ihm noch einen Kuss auf die Nasenspitze und schloss den knarrenden Sargdeckel. In der Stille dachte sich der Vampirjunge: „Morgen kann ich ja mal die Zahnbürste an meine Eckzähne halten.“

Noch etwas verschlafen, schlurfte Frederik am Abend vor seinen Spiegel. Jetzt war es Zeit für seine Übungen im schrecklichen Grimassenschneiden. In seiner Vampirschulklasse war er der Beste darin. Die Augen zu Schlitzen verzogen, ein unheimliches Fauchen, dabei schön die gefährlichen Fangzähne zei….. halt, was war das? Auf seinem linken Fangzahn, war ein großer, schwarzer Fleck zu sehen. „Oh, nein. Ich habe mir die Zähne doch nur drei Nächte nicht geputzt. Was wenn mein Fangzahn jetzt faul ist und rausfällt?“

Was sollte er bloß Mama sagen, die würde mit ihm doch gleich zu Doktor Schreihals fliegen. Der kommt dann mit der großen Zange! Nein, er muss sich etwas Anderes einfallen lassen.

Frederik ging schnell runter zum Frühstückstisch und nahm einen kleinen Schluck aus seiner Tasse. Dabei versuchte der Vampirjunge, seinen Mund möglichst nicht zu weit aufzumachen. „Was ist denn los, mein Flederspukchen? Du hast doch sonst immer so einen großen Durst?“, wollte seine Mama wissen. „Nickscht. Isch musch misch beeilen. Heute ischt Flugtraining“, nuschelte Frederik mit halb geschlossenem Mund und schnappte sich seine Schultasche, damit Griselda ihn nicht weiter löchern konnte.

Auf seinem Flug, durch das Dunkel der Nacht, überlegte er so angestrengt, dass er gar nicht seine beste Freundin Felicitas bemerkte. Die gab ihm einen kleinen Schubs. „Ich habe Hallo gesagt. Seit wann bist du so unhöflich?“, beschwerte sie sich. Frederik hatte jetzt richtig schlechte Laune: „Deswegen!“, rief er laut und zeigte Felicitas seine Fangzähne. „Iiigiitt, was ist denn das?“, sagte sie und berührte mit der Zungenspitze ihren eigenen Fangzahn, um zu prüfen, ob das nicht ansteckend war. „Deine Zähne sind in Ordnung! Du hast sie dir bestimmt auch immer hübsch geputzt“, maulte Frederik.

Die Schulstunden vergingen für den geplagten Vampirjungen schrecklich langsam. Auch der Flugunterricht, auf den er sich so gefreut hatte, machte keinen Spaß. Anstatt wilder Manöver, flog Frederik ganz langsam, damit er ja nirgendwo anstieß und der Zahn rausfiel. Dann ärgerte ihn deswegen auch noch sein schärfster Konkurrent: der starke Oskar. „Wenn du so wie eine fette Eule fliegst, wirst du mich im Wettrennen nie schlagen. Ich wusste ja, dass du nicht so gut bist, aber so grottenschlecht!“, rief er mit einem hämischen Lachen.

Frederik wurde noch weißer als weiß vor Zorn. Nicht nur auf den gemeinen Oskar war er wütend, sondern auch auf sich. Er hatte sich das selbst eingebrockt und ihm wollte keine wirklich gute Lösung für sein Zahnproblem einfallen! Er sah schon Doktor Schreihals mit der Zange auf seinen Mund zukommen – ein kalter Schauer lief ihm den Rücken herunter.

In der vierten Stunde hatten sie bei Professor Travinsky Geschichtsunterricht. Der alte Vampir rückte sich die schwarze Brille zurecht und zupfte an seinem Ziegenbärtchen. „Heute, liebe Schreckensschüler, erzähle ich euch von dem traurigen Schicksal des Grafen Viktorius oder wie man ihn später nannte: Graf Ohnezahn.“ Frederik hob seinen Kopf vom Schulpult.

„Dem Grafen hatte es nach dem Blut eines wunderschönen Mädchens gedürstet. Er forderte sie zum Tanz auf. Die schlaue Elisabetha hatte jedoch ein hartes Brett hinter ihrem Rücken versteckt gehalten und holte dies blitzschnell hervor, als sich Graf Viktorius über ihren Hals beugte. Mit einem lauten „Krack“ brach er sich an dem harten Holz seine beiden Fangzähne ab. Heulend vor Schmerz und Scham verzog er sich in eine dunkle Höhle, tief in den Karparten. Aus dieser ist er bis jetzt nicht wieder herausgekommen.“

Professor Travinsky lächelte, als er die erschrockenen Gesichter der Vampirkinder sah. „Also, liebe Schreckensschüler, passt auf euer Beißwerk auf!“

Frederik wurde es ganz anders. Er hielt es auf seinem Stuhl nicht mehr aus. Er musste etwas unternehmen und zwar jetzt! Der kleine Vampir stürzte aus dem Klassenzimmer. Seine Freundin Felicitas folgte ihm.

Auf dem Schulhof schnappte er sich den nächstbesten Zweig. Er würde diesen blöden Zahn jetzt schrubben, egal was passierte. Er fing an. Was war das? Der schreckliche Fleck wackelte mit der Bewegung mit und …. kicherte. „Dein Zahn kichert“, bemerkte auch Felicitas. Da vernahmen sie eine hohe Stimme: „Aufhören! Bitte aufhören. Ich bin doch so furchtbar kitzelig!“

Der schwarze Fleck auf Frederiks Zahn streckte seine sechs Beine aus und krabbelte aus dem Mund des kleinen Vampirs. Felicitas kreischte … vor Lachen. Eine Spinne! Eine Spinne hatte es sich auf Frederiks Zahn gemütlich gemacht!

„Nichts für Ungut, Kumpel. Aber in deinem Mund war es so schön dunkel und warm. Danke für den Unterschlupf“, sagte das Krabbeltier und verschwand im Unterholz. Verdutzt berührte Frederik seinen Zahn. „Fühlt sich wieder normal an.“ Felicitas hielt sich noch den vom Lachen schmerzenden Bauch, schaute ihn aber ernst an. „Trotzdem hast du diesen Besuch deinem Nichtzähneputzen zu verdanken. Hättest du sie häufiger geputzt, hätte es die Spinne da drinnen wohl nicht so gemütlich gefunden.“

Frederik nickte zustimmend. Felicitas und seine Mama hatten Recht: Man sollte sich immer gründlich die Zähne putzen. Das würde er vom heutigen Tage an tun. Außerdem wollte er nie wieder so einen riesigen Schrecken eingejagt bekommen!