„Was macht ein Wichtel? Versteckt er wie der Osterhase Weihnachtsgeschenke?“ Moritz‘ kleine Schwester Lisa stellte sich auf die Fußspitzen. Sie machte ihre pinken Strumpfhosenbeine ganz lang, um auf die Kommode im Flur schauen zu können. Gerade stellte Mama dort, wie jedes Jahr in der Adventszeit, die kleine Wichtelfigur mit der grün-weiß geringelten Zipfelmütze neben das rotnasige Holzrentier. Mama zwinkerte erst Moritz zu und antwortete dann Anna mit einem sanften Lächeln: „Ja, das würde unserem Wichtel schon Spaß machen. Schon bevor der Advent beginnt, bereiten die Wichtel sich als fleißige Helfer des Weihnachtsmannes auf die schönste, aber auch für sie arbeitsreichste Zeit des Jahres vor. Die Geschenke verpacken sich schließlich nicht von alleine!“ Mama tippte das Glöckchen an der Spitze der Zipfelmütze an. Es klingelte fröhlich. „Vielleicht erlauben sich die Wichtel nach all diesen Anstrengung einen kleinen Scherz und lassen die Kinder ihre Geschenke zwischen Omas‘ Lieblingssessel, dem Weihnachtsbaum und unter dem Tisch mit dem Weihnachtspudding suchen.“
Anna kicherte: „Das würde mir auch riesigen Spaß machen!“ Moritz lehnte sich an die weichen Winterjacken in seinem Rücken, die Hände tief in seinen Hosentaschen vergraben. Seine Schwester drehte ihren blonden Lockenkopf zu ihm herum und sah ihn aufgeregt mit großen Augen an: „Du hilfst mir doch dann beim Suchen, oder?“ Moritz rang sich ein Lächeln ab und versprach: „Natürlich.“ Seine vierjährige Schwester sollte noch an all die Weihnachtswunder glauben, doch er war mit seinen 8 Jahren eindeutig schon zu alt dafür. Wusste doch jeder, dass nicht der Weihnachtsmann und seine Wichtel die Geschenke zusammenbastelten und mit einem Rentierschlitten brachten. Schon gestern hatte er Mama seine Wunschliste für dieses Jahr auf den Nachttisch gelegt. Das neue heiß begehrte Lego-Set von Star Wars würde nämlich diese Woche in den Spielzeugläden kommen. Sie sollte es schnell besorgen, bevor es noch ausverkauft war!
Die runde Nase an die kalte Fensterscheibe gepresst, sah Weihnachtswichtel Willi gerade noch, wie Moritz dem Glöckchen einen letzten Stupser verpasste, bevor er mit einem Kopfschütteln hinter seiner Mama und dem hüpfenden kleinen Mädchen im warm erleuchteten Wohnzimmer verschwunden war. Willi zog seinen Kopf zurück und entsetzt die buschigen Augenbrauen zusammen.„Zuckerstange und Butterplätzchen! Habe ich das gerade richtig gesehen?! Der Junge ist doch nicht etwa ein Weihnachtsmuffel?!“ Willi strich sich nachdenklich dreimal über seinen kurzen, weißen Bart – weswegen dieser nicht länger wurde, denn dafür musste der Wichtel erst älter und weiser werden. Seine Mundwinkel hoben sich immer ein Stückchen weiter nach oben. Schließlich klatschte er voller Tatendrang in die Hände und rief über seine Schulter: „Rudi! Wir haben gleich einen ganz besonderen Auftrag auf den Schlitten gezogen! Wir werden diesem Weihnachtsmuffel-Kind das beste Weihnachten überhaupt bescheren!“
Im Garten wackelte ein Tannenbäumchen so sehr, dass der ganze Schnee von den grünen Ästen fiel. Der Wichtel seufzte. „Du kannst rauskommen Rudi! Der Schein der Lichterketten in den Fenstern reicht nicht bis in deine Ecke! Hinter dem Bäumchen schaute ein Stück von einem Geweih heraus. Eine weiche Rentierschnauze schob sich ganz langsam und vorsichtig an den grünen Nadeln vorbei. Das Rentier Rudi ruf-flüsterte: „Könntest du bitte etwas leiser sprechen?! Kaum sind wir eine Stunde vom Nordpol weg und schon vergisst du, was du gelernt hast! Die Menschen sollen nicht mitbekommen, dass wir da sind! Sonst zerbröselt das Weihnachtswunder wie ein Lebkuchen, der zu lange im Ofen war!“ Stolz auf sich über diesen außerordentlich passenden Vergleich, nickte Rudi einmal kräftig … und blieb mit dem Geweih zwischen zwei Tannenzweigen hängen. „ Au! Ahh! Oh, nein! Das auch noch! Warum habe ich mich nur von dir nur zu so einem Weihnachtsschlamassel überreden lassen?!“ Rudi stampfte mit dem Huf auf.
„Warte! Ich komm‘ ja schon!“ Willi hopste von der Fensterbank. Der Schnee knisterte leise unter seinen schnellen Stiefelschritten. Flink kletterte er auf den Rücken seines Freundes. Ohne lang zu überlegen, griff er nach einem der Äste. Mit einem „Wusch“ schnippte der nach oben und ließ auch gleich den zweiten mit hochschnellen. „Ohhh!! Hiilfe!“ Willi war nach dem Loslassen nach hinten gekippt. Er wollte nach einem rettenden Büschel Rentierfell greifen, doch seine Hände steckten in dicken Handschuhen. Bevor er von dem Rücken seines Freundes purzeln konnte, packte Rudi ihn mit seinen Zähnen am Kragen und setzte ihn vorsichtig vor sich ab. Willi verschränkte die Arme vor der roten Weste und linste nach oben. Rudi schnaubte auf seine grün-weiß geringelte Wichtel-Zipfelmütze herab.
„Ich weiß genau, was du jetzt sagen willst“, brummte der Wichtel. „Der Weihnachtsmann wird mächtig sauer auf uns sein!“, sagte Rudi ganz genau das, was Willi schon genau wusste, und doch nicht hören wollte. „Der merkt doch gar nicht, dass wir fehlen!“, erklärte der Wichtel trotzdem trotzig. „Ja genau! Weil er jetzt gerade mit den letzten Vorbereitungen für die große Geschenke-Schlittenfahrt ist! Du solltest in der Klasse: „Weihnachtsbaumschmücken für Anfänger“ sitzen und ich sollte mit den anderen jungen Rentieren das Leise-auf-Dächern-Landen üben“, klärte ihn Rudi streng auf. Willi schüttelte mit einem frustrierten Schnauben den Kopf, sodass das Glöckchen an seiner Zipfelmütze kräftig bimmelte. „Ich will aber nicht noch ein Jahr warten müssen! Ich bin JETZT schon ein guter Weihnachtshelfer!“
„Ist da jemand?!“ Willi und Rudi froren sofort in ihren Bewegungen ein. Moritz rieb sich fröstelnd über die Arme. Schnell trat er noch einmal in die Wärme des Hauses, um sich seine Jacke zu holen. Dann stand er wieder vor der Tür und lauschte. Aus dem Garten waren eben noch eindeutig Stimmen gekommen. Und zwar so laut, dass er sie durch sein Zimmerfenster hat hören können. „Hallo?“, rief er darum noch einmal. Doch die geheimnisvollen Stimmen hüllten sich in Stille und das Halbdunkel des Abends. Moritz zuckte mit den Schultern und drehte sich auf dem Absatz herum.
„HAAATSCHUU“ Das war eindeutig ein Niesen gewesen! Moritz schwang herum. Mit nur ein paar langen Schritten in seinen Hausschlappen war bei der kleinen Tanne, im hinteren Teil des Gartens. Dort war das Geräusch nämlich eindeutig hergekommen. Und wirklich! Staunend blickte er auf seine Entdeckung. Waren das etwa ein Weihnachtswichtel und ein Rentier?
Moritz kniff die Augen zusammen und ging noch ein Stückchen näher heran. „Diese Figuren sehen so echt aus! Wo hat Mama die nur her? Jetzt übertreibt sie wirklich ein bisschen mit der Weihnachtsdekoration!“, murmelte er vor sich hin. Er hob die Hand, um zu prüfen, ob sich das Rentierfell genauso weich anfühlte, wie es aussah. Rudi spannte sich ganz fest an. Doch es half nichts: Das Lachen schoss aus seinem Bauch, hinein in die aufgeblähten Wangen und kam als ein Prusten durch seine mit höchster Anstrengung zusammengepressten Lippen heraus. Das Rentier war einfach zu kitzelig! „Was?!!“ Moritz stolperte erschrocken zur Seite. Dabei stieß er gegen die Wichtelfigur. Die schrie erbost auf: „Au! Das Rentier wird gestreichelt und der Wichtel geschubst?“ „Oh, Verzeihung“, sagte Moritz ganz automatisch und schlug sich dann die Hand vor den Mund, als er begriff, bei wem er sich gerade entschuldigt hatte.
Der Weihnachtswichtel reichte ihm gerade mal bis zu den Knien und schaute ihn immer noch vorwurfsvoll unter buschig weißen Augenbrauen an. „Ich nehme deine Entschuldigung an … wenn du jetzt wieder sofort nach drinnen gehst und vergisst, dass du uns gesehen hast!“ Moritz klappte den Mund auf und wieder zu. Wie konnte er so eine Begegnung vergessen?! „Aber… aber… Ihr seid echt!“ Er riss die Augen weit auf. „Gibt es ihn dann auch wirklich? Den Weihnachtsmann?!“ Willi streckte stolz die Brust heraus, sodass die Goldknöpfe von seiner roten Weste fast absprangen. „Natürlich gibt es den Weih….“ Ein Geweihstupser ließ ihn in seinem unbedachten Geplapper innehalten. „Ähmm, Weihnachtsbaum. Ich meinte Weihnachtsbaum – nicht Weihnachtsmann. Wo denkst du nur hin, du Naseweis?“
Moritz senkte das Kinn, als müsse er über etwas sehr gründlich nachdenken. „Bis eben habe ich auch nicht mehr an den Weihnachtsmann geglaubt.“ Er hob mit einem herausfordernden Funkeln in den Augen den Kopf. „Aber ich weiß, was ich sehe! Und ihr seid eindeutig echt: ein Weihnachtswichtel und ein Rentier! Es kann kein Zufall sein, dass ihr ausgerechnet in der Adventszeit in unserem Garten gelandet seid!“ Er verschränkte die Arme vor der Brust. „Wenn ich niemandem etwas über euch verraten soll, müsst ihr mir helfen etwas zu reparieren!“ Willi kratze sich an der Nase. Der Weihnachtswichtel fragte ruhig, aber in einem Ton, so streng wie ein kalter Wintertag: „So, müssen wir das?“ Moritz ließ die bis zu den Ohren hochgezogenen Schultern langsam sinken und erklärte traurig: „Sonst wird meine Schwester Anna am Weihnachtsabend enttäuscht sein. Und es ist meine Schuld!“
Rudi legte seinen großen Kopf schief. „Was ist denn passiert?“ Moritz‘ Herz tat vor Überraschung einen kräftigen Schlag. „Du kannst auch sprechen?“, fragte er das Rentier voller Staunen. Der Weihnachtswichtel winkte müde ab. „Natürlich kann er das! Genauso wie den Schlitten des Weih….“ Wieder ein Geweihstupser. „Genauso wie den Schlitten mit dem Weihnachtsbaum ziehen – ist doch klar!“, verbesserte Willi übertrieben laut, bevor er vor Ungeduld bald platzend nachhakte: „Lenken wir nicht vom Thema ab! Was hast du angestellt?“ Moritz holte tief Luft. „Ich zeige es euch. Kommt mit…“
Moritz musste fest an der Klinke ziehen, bevor sich die Garagentür leise quietschend öffnete. Mit einem „Klack“ erstrahlte der Raum in einem grellen, weißen Licht. Rudi und Willi mussten mindestens zehnmal blinzeln, bevor sie einen Schritt hinein wagen konnten. Moritz hingegen, zögerte nicht. Er umrundete das große, dunkelblaue Auto und blieb vor einer Werkbank stehen. „Papa werkelt hier im Winter nicht allzu oft. Außerdem dachte ich, zwischen den vielen Kartons würde er sie nicht so leicht finden…“ Moritz ging in die Hocke und zog eine kleine Schachtel unter dem Tisch hervor. „Macht sie bitte vorsichtig auf, damit nicht noch mehr kaputt geht“, warnte er die Weihnachtshelfer vor, die es nun auch bis zu ihm geschafft hatten.
Willi nahm die Schachtel. Er öffnete sie langsam … und presste die Lippen zu einer schmalen Linie zusammen. Rudi schnaubte. Moritz erkannte an ihren mitleidigen Blicken, dass da wohl nichts mehr zu machen war: die allerliebste Figur seiner Schwester würde nie mehr an einem Weihnachtsbaum hängen!
Nun kullerte ihm doch eine dicke Träne über die Wange. Er schniefte: „Ich sollte für Mama den Karton mit dem Weihnachtsbaumschmuck aus dem Keller holen. Ich hatte keine Lust: mein Computerspiel zu unterbrechen, und überhaupt auf den ganzen Weihnachtstrubel. Beim Aufstieg habe ich immer zwei Stufen auf einmal genommen. Dabei ist aus dem Karton genau eine Schachtel herausgefallen…“ „Die mit dem Lebkuchenmädchen aus Porzellan, dem nun ein Arm, zwei Zöpfe und die Zuckerperlen auf ihrem Kleidchen fehlen“, ergänzte Willi. Moritz nickte stumm.
„Dann backen wir eben ein neues Lebkuchenmädchen!“, rief da Rudi in eine bedrückende Stille hinein, die viel zu lange gedauert hatte. „Aber das ist doch nicht dasselbe! Meine Schwester wird sofort erkennen, dass es nicht ihre Lieblingsfigur ist!“, machte Moritz gleich klar. „Wie wird der Lebkuchen wohl im nächsten Jahr aussehen? Genau! Nicht mehr schön!“, gab Willi noch zu bedenken. Rudi wiegte enttäuscht sein Geweih hin und her. „Jetzt seid ihr aber beide Weihnachtsmuffel! Malt einfach alles schwarz, obwohl alles um euch herum glitzert und leuchtet!“ Willi nickte bedächtig. „Da hat er recht… Was wäre ich außerdem für ein Weihnachtshelfer, wenn ich aus diesem dummen Unfall nicht in ein Weihnachtswunder machen könnte!“ Willi krempelte tatkräftig seine Ärmel hoch: „Versuchen wir es also! Wo geht es lang zur Backstube?“
Moritz hob die Hände. „Nicht so eilig! Gleich ist Zeit für das Abendbrot, bei dem alle um den Küchentisch versammelt sein werden. Also heute wird erst einmal nichts aus Backen. Wir müssen uns noch bis morgen gedulden. Da wollte meine Familie einen Ausflug auf den Weihnachtsmarkt machen. Ich sage einfach, dass ich lieber zu Hause bleiben würde.“ „Oh, das werden sie dir Weihnachtsmuffel ganz bestimmt glauben“, grummelte Willi, während er seine Ärmel missmutig wieder runter schob. „Hier…“ Moritz nahm die Picknickdecke mit den Gänseblümchen von einem Regal. „Macht es euch darauf gemütlich. Ich hole euch gleich ab, wenn sie aus der Haustüre raus sind.“ „Und uns hier entdecken, wenn sie in das Auto steigen?“, fragte Rudi besorgt. Moritz gab ihm einen Stupps auf die Nase. „Mach dir nicht immer so einen Rentierkopf. Der Weihnachtsmarkt ist nicht weit weg. Mama, Papa und meine kleine Schwester werden dorthin spazieren.“ Bevor er die Weihnachtshelfer für die Nacht verließ, fragte Moritz noch: „Soll ich das Licht an lassen oder ausmachen?“ Willi gähnte laut. „Lass es aus. Wir haben eine anstrengende Reise hinter uns und morgen viel vor.“ Mit einem „Klack“ wurde es dunkel.
TOK TOK TOK Die Glasscheiben erbebten. Moritz erschreckte sich so sehr, dass er den Rührbesen klirrend in die Schüssel fallen ließ, die er gerade aus dem Schrank geholt hatte. Er stand aus der Hocke auf, um herauszubekommen, was dieses Geräusch, das aus der winterlichen Kälte in die Küche gepoltert war, zu bedeuten hatte. Durch das Fenster konnte Moritz die Spitzen eines Geweihs erkennen. Ein schlecht gelaunt aussehender Weihnachtswichtel hielt sich mit einem Arm daran fest und hatte das zweite Handschuhfäustchen erhoben, um noch einmal laut zu klopfen. Moritz eilte sofort zu den Weihnachtshelfern und öffnete das Küchenfenster weit. „Na endlich! Mein Bauch grummelt schon! Am Nordpol hätte es schon das zweite Frühstück gegeben!“ Etwas überrumpelt machte Moritz dem Wichtel platz, der flink hinein kletterte und gleich auf einen Stuhl am Frühstückstisch zuhielt. „Ich hoffe, du hast eine gute Entschuldigung und mindestens vier Zimtsternplätzchen mit einem Klecks Sahne da …. und natürlich noch eine dicke Möhre für Rudi!“ „Oder auch zwei!“, rief das Rentier von draußen.
Moritz hob entschuldigend die Schultern. „Ich kann doch nichts dafür, wenn meine Familie sich gerade heute beim Frühstück so viel Zeit lässt… Ich hätte euch schon gleich aus der Garage abgeholt. Ich wollte nur schon mal alles zusammensuchen, was wir für das Backen brauchen werden. Aber wenn ihr so großen Hunger habt, kann ich euch noch Schokomüsli und einen Apfel anbieten.“ Willi brummelte: „Haben die Müslistückchen wenigstens die Form von Sternen?“ Moritz‘ Augen leuchteten auf, denn nun würde er die Laune des Weihnachtswichtels gewiss wieder etwas heben. „Ja, das haben sie!“, verkündete er mit einem breiten Lächeln.
Ein paar große Löffelfuhren später, klopfte sich Willi zufrieden auf seinen Bauch. „JETZT können wir loslegen. Also…“ Der Weihnachtswichtel holte aus einer kleinen Tasche auf seiner Weste ein Fläschchen hervor, in dem es geheimnisvoll golden funkelte. „Beginnen wir mit dem Teig:
Mehl, Eier, Zucker und Butter hol‘ her im Nu.
Gib noch Honig mit feinem Gewürz hinzu,
und das Lebkuchenmädchen wird bald dich begrüßen mit: „Hallo du!“
Ha! Na wenn das mal kein 1A Weihnachtswichtel-Lebkuchen-Backzauber-Reim war! Mit einer Prise Weihnachtswunder-Glitzer als letzter besonderer Zutat, dürfte nichts schief gehen!“, freute sich Willi. Moritz zog eine Augenbraue hoch. Er wollte immer noch nicht an Weihnachtszauber glauben. „Na, sprechen muss der Lebkuchen nicht unbedingt. Wir machen einfach einen normalen Teig“, stellte er klar, während er schon die zwei Schritte zum großen Vorratsschrank machte. „Zum Glück haben wir alle von dir aufgezählten Zutaten da.“
Moritz wollte wirklich etwas tun, um seiner Schwester ein schönes Fest zu bereiten – nur eben ohne Zauber. Er reihte Mehl, Eier, Zucker, Butter, Honig und das Lebkuchengewürz auf dem Küchentisch vor dem Weihnachtswichtel auf. Der Strich sich nachdenklich über seinen kurzen weißen Bart. „Du bist wirklich eine harte Nuss…“ Willi stieß einen kleinen bedauernden Seufzer aus. „Dann machen wir es halt auf deine Art. Ein guter Weihnachtshelfer kann auch ohne Magie die schönsten Dinge zaubern. Wo ist die Rührschüssel?“
„Der Teig ist nicht richtig vermengt! Da sind überall dicke Mehlklumpen drin! Soll das Lebkuchenmädchen etwa Beulen haben?“, schimpfte der Weihnachtswichtel ein paar Backschritte weiter. Moritz kratze sich am Kopf, und fügte damit seinem mit Mehl bestäubten Haar noch ein paar weitere weiße Strähnen hinzu. „Wir haben aber alles so gemacht, wie es in dem Rezept aus dem Internet stand!“ Seine Stimme kam ganz zittrig aus seinem vor Verzweiflung ganz zugeschnürten Hals. „Pah, Internet! Du hättest dich eben doch auf den funkelnden Weihnachtszauber und nicht auf so einen grellen, weißen Bildschirm verlassen sollen!“
TOK TOK TOK Ein Klopfen ließ sie verstummen. Moritz‘ Kopf schnellte von Willi zum Küchenfenster. Dieses Mal konnte es nicht der Weihnachtswichtel sein, denn der stand immer noch vor Wut schnaubend vor ihm. Nein… Es war Rudi. Den hatten sie in ihrem ganzen Backeifer ganz vergessen. „Wenn ich denn auch mitmachen dürfte, wäre ich euch gerne behilflich. Stellt einfach die Schüssel und den Rührbesen vor die Schnauze.“ Willi und Moritz zögerten. Aber nur ganz kurz. Es konnte ja nur besser werden.
„Ja. So. Aua. Nein. Das war meine Nase. Den Griff schräg und nicht gerade halten…“ Vorsichtig klemmte Rudi sich den Schneebesen zwischen seine starken Zähne. „Jemand muff die Füssel gut festhalpen“, ordnete er an und legte sogleich mit Rühren los, als sich die Hände von Moritz und Willi von beiden Seiten um die Schüssel gelegt hatten. Und wie kräftig Rudi rührte! Der Teig tanzte in der Schüssel zu dem Klackern seines Geweihs, das gegen die Seiten des Fensters schlug und den Hufen, die auf dem Boden mit stampften. Moritz und Willi mussten ihre ganze Kraft aufbieten, damit ihnen die Schüssel ihnen nicht gleich mit aus der Hand tanzte. „Ok! Gut, gut! Ich glaube, es reicht!“, rief da auch schon Moritz. Seine Wangen waren vor Anstrengung genauso rot wie Willis Weihnachtsweste. Willi patschte mit einmal auf den Teig. Die Augen für einen prüfenden Blick zusammengezogen, beäugte er seinen Handabdruck auf der hellbraunen Masse ganz genau. Moritz und Rudi hielten vor Spannung die Luft an. Bis Willi endlich verkündete: „Der Teig ist perfekt! Wir können ihn jetzt zu einem hübschen Lebkuchenmädchen formen!“
Mit langen Gesichtern sahen sie auf ihr noch vom Ofen warmes Kunstwerk herab. „Dann ist eben ein Arm etwas dicker als der andere. Und Mädchen mögen doch lange Zöpfe? Was macht es da, dass diese bis hinunter zu den Schuhen reichen?“, versuchte Willi das Lebkuchenmädchen schön zu reden. Zwischen zusammengepressten Lippen brachte Moritz mit Mühe hervor: „Schuh. Es gibt nur einen – der andere ist zerbröselt.“ „Ich könnte immer noch…“, bot Willi an und schwenkte das Glitzerfläschchen. Moritz atmete tief ein. „Nein. Ich werde Anna wohl die Wahrheit sagen müssen. Aber ich will auch nicht mit leeren Händen kommen. Wartet, habe noch etwas in meinem Zimmer vergessen.“
Moritz betrat die Küche. Sein Blick war auf etwas Kostbares in seinen Händen gerichtet. Willi unterbrach seine Pinselarbeit mit Zuckerguss. „Ich habe dem Lebkuchenmädchen ein rosa Kleidchen gemalt und Rudi hat es mit weißen Zuckerperlen geschmückt. Was hältst du davon?“, fragte er vorsichtig. Moritz schaute auf. In seinen Augen lag die gleiche Wärme, die sich langsam in seiner Brust ausbreitete. „Es sieht sehr schön aus. Ich danke euch. Nur das hier fehlt noch…“ Er öffnete seine rechte Hand. In der lag ein kleines Herz aus Holz geschnitzt. Es war in einem glitzernden Rot angemalt und mit den zwei Buchstaben A und M verziert. „Ich habe gestern noch bis spät in die Nacht daran gesessen. Vielleicht macht Anna das ja Freude.“ Moritz legte das Herz vorsichtig auf das Lebkuchenmädchen. „Ganz bestimmt. Und weißt du auch warum?“, wollte Willi wissen. Er nahm dabei den Pinsel, an dem noch Zuckerguss hing, wieder in die Hand und klebte das Herzchen auf. „Weil ich es mit einer Glitzerfarbe angemalt habe?“, antwortete Moritz mit einem halben Grinsen. Willi schnaubte. „Das natürlich auch. Aber ich glaube, nein ich weiß, dass Anna dieses Lebkuchenmädchen noch viel lieber als das alte mögen wird.“ Er schaute zu Moritz auf. „Weil du es für sie mit besonders viel Liebe gemacht hast.“ Aus dem halben Lächeln von Moritz wurde ein Ganzes, als er mit Stolz anmerkte: „WIR. Ohne eure Hilfe hätte ich das ganz gewiss nicht hinbekommen.“ Er kratzte sich verlegen am Hinterkopf. „Oder überhaupt damit angefangen.“
Da leuchtete das Lebkuchenmädchen plötzlich auf! Auf seinem rosa Kleidchen erschienen die schönsten Muster und seine Augen funkelten wie Sterne. Moritz blinzelte heftig. Bildete er sich das alles nur ein, oder hatte das Lebkuchenmädchen ihm gerade zugezwinkert? So überraschend das Leuchten gekommen war, so schnell war es auch wieder verschwunden. Aber die zauberhaften Verzierungen blieben. Willi flüsterte ehrfürchtig: „Und das alles ohne Weihnachtsmagie-Pulver.“ Der Weihnachtswichtel stieß den immer noch verdutzt dreinschauenden Moritz mit der Schulter an. „Das warst du, mein nun nicht mehr weihnachtsmuffeliger Freund! Dein starker Herzenswunsch, deine Schwester zu Weihachten glücklich zu sehen, hat dieses Zauberwunder bewirkt!“ Moritz konnte sein Erstaunen kaum in Worte fassen. Er murmelte: „Das ist wirklich passiert. Das ist echt!“ Rudi streckte seinen Kopf noch etwas weiter zum Küchenfenster herein und rief: „Und wie das echt ist! Wenn wir das dem Weihnachtsmann erzählen, wird er ganz bestimmt nicht böse über unseren Weihnachtsausflug sein!“ Willi kicherte: „Jetzt hast du aber verraten, dass es den Weihnachtsmann gibt!“ Rudi legte den Kopf schief … und lachte laut mit.
„Was ist das denn hier für ein Lärm? Moritz? Hast du Freunde eingeladen?“ Moritz Augen wurden vor Schreck ganz groß. „Oh, nein! Mama! Meine Familie ist zurück! Schnell versteckt euch!“ Willi machte einen großen Satz für seine kurzen Beinchen und sprang durch das offene Küchenfenster auf Rudis Geweih. Der Weihnachtswichtel winkte zum Abschied mit seiner gestreiften Mütze und rief Moritz zu: „Jetzt, wo du kein Weihnachtsmuffel mehr bist, war das nur der Anfang von unseren Weihnachtsabenteuern! Nächstes Jahr kommen wir wieder und dann üben wir das Verpacken von Geschenken, singen dabei „Morgen kommt der Weihnachtsmann“ und backen noch mehr Lebkuchen! Das wird toll!“ Moritz schnaubte. Gerade, als er seinem eifrigen Weihnachtswichtel-Freund sagen wollte, dass das doch etwas übertrieben war, knarrte die Küchentür. Das war Rudis Startzeichen. Er galoppierte über den Schnee im Garten und hob ab. Von Moritz‘ magischem Weihnachtsbesuch war nur noch das leise sich entfernende Bimmeln des Glöckchens an Willis Wichtel-Zipfelmütze zu hören.
Moritz drehte sich schmunzelnd um und öffnete die Arme ganz weit. Sofort sprang seine kleine Schwester hinein und schlang ihm ihre Arme kichernd um den Hals. Dann löste sie sich ganz hibbelig vor Aufregung von ihm. „Ich habe dir etwas mitgebracht!“ Anna rannte zu Mama, die noch in Mantel und Schal war. „Mama, du hast es hoffentlich nicht verloren! Und ist es auch noch ganz?“, fragte sie ganz atemlos und spähte in Mamas Handtasche. „Keine Sorge. Ich habe sehr gut darauf aufgepasst.“ Mama schob liebevoll Annas Patschehändchen zur Seite, griff selbst in die Tasche und übergab ihr das wertvolle Geschenk. Anna versteckte es hinter ihrem Rücken, um es dann aber schnell wieder hervorzuholen und ihrem Bruder unter die Nase zu halten.
Moritz Herz schlug schneller. Er schniefte. Anna ließ die Schultern sinken. Enttäuscht blickte sie ihren Bruder an. „Du magst es nicht.“ „Was?“ Moritz hängte sich das Lebkuchenherz auf dem in geschwungenen Zuckerguss-Buchstaben stand: „Bester großer Bruder“ um den Hals. Er gab Anna einen Kuss auf ihren blonden Scheitel. „Das ist das beste Geschenk, das mir je jemand gemacht hat!“ Anna schniefte jetzt auch – vor Freude!
„Ohhh, ihr beiden seid unsere allerliebsten zuckersüßen Weihnachtswichtel!“ Mama und Papa konnten nicht mehr länger an sich halten und drückten Moritz und Anna ganz fest an sich. Zwischen Mamas Mandarinenduft und Papas Kuschelschal eingeschlossen, schaute Anna zu Moritz hoch und fragte neugierig: „Was hast du eigentlich hier ohne uns gemacht?“ Moritz lächelte verschmitzt. „Das verrate ich noch nicht. Es ist eine Weihnachtswunder – Überraschung.“

