Die magische Muschelhaarspange

Kapitel 1

Aus dem Königspalast der Unterwasserwelt Aquana erklang ein liebliches Lied. Sanfte Wellen trugen es hinaus in das weite Meer. Der kleine Delfin Finn schloss die Augen und lächelte. So schön konnte nur Eine singen… Er folgte der Melodie mit einem kräftigen Schwung seiner Schwanzflosse.

Der Delfin schwamm an dem feuerroten Korallenriff vorbei, dann über den Felsen, der wie eine wütende Krabbe mit erhobenen Scheren aussah. Da konnte er schon die strahlenden Perlmutttürme des aquanischen Schlosses sehen! Er musste nur noch die kleine Regenbogenschlucht überqueren und dann… „Aus dem Weg da vorne! Machen Sie Platz für die Tanzgruppe!“ Finn stoppte schnell, bevor er von einem Schwarm gelbblau schillernder Fische verschluckt werden konnte. Über ihm bahnte sich ein alter Adlerrochen mit großen Schwingen seinen Weg. „Was für ein Verkehr heute!“, grummelte er. Finn nickte. Ja, alle Meeresbewohner waren schon mächtig aufgeregt, denn in wenigen Tagen würden die alljährlichen Aquanafestlichkeiten stattfinden!

Auch am Hof des Königspalastes herrschte ein reges Treiben. Meerjungfrauen- und Männer trugen Körbe mit prächtigen Meeresblumen, putzen die Seepferdchen für die königliche Kutsche heraus oder übten kleine Vorführungen. Für all dies hatte Finn jedoch keine Augen, denn das schöne Lied war nun laut und deutlich zu hören. Es kam aus dem höchsten Turm des Königspalastes.

Er sah durch das Fenster der Meerjungfrau Linella, die in ihrem Zimmer vor dem Spiegel saß und sich das goldene Haar bürstete. „Was für eine schönes Lied…“, sagte er verträumt. Etwas erschrocken unterbrach das Wassermädchen ihren Gesang, lächelte aber, als sie erkannte, wer sie da gestört hatte.

„Danke lieber Finn. Mama und Papa finden das auch und deshalb darf ich auf dem königlichen Meerfest vor dem ganzen Volk auftreten. Ich habe eben etwas geübt, damit am großen Tag nichts schief geht.“ Üben brauchte die kleine Meerjungfrau eigentlich nicht, denn in ihren Locken steckte eine glitzernde Muschelhaarspange. Die funkelte beim ersten gesungenen Ton nicht nur in den schönsten Farben, sondern ließ auch Linellas Stimme erstrahlen. So gab es keine Meerjungfrau, die schöner singen konnte als die Prinzessin von Aquana.

Da fuhr ein schwungvoller Strom aus Blubberblasen durch das Zimmer und ließ den kleinen Delfin einen Purzelbaum schlagen. Linella klatschte in die Hände. Das konnte nur eines bedeuten: die Sturmgeister trieben an der Meeresoberfläche Schabernack. Die Prinzessin liebte es, mit ihnen fangen zu spielen. „Komm mit Finn! Das wird ein großer Spaß!“, lachte sie und war auch schon mit ein paar kräftigen Bewegungen ihrer grünen Schwanzflosse auf dem Weg zu den brausenden Wellen.

Frech streckte sie den Kopf aus dem Wasser und schrie den Sturmgeistern entgegen: „Ihr kriegt mich nicht! Los, ihr müden Winde, strengt euch an!“ Und schon war sie wieder verschwunden, nur um blitzschnell an einer anderen Stelle wieder aufzutauchen. Der kleine Delfin war ihr gefolgt und sah besorgt, dass Linella die wilden Winde diesmal zu sehr herausforderte. Einige Male entkam sie nur knapp den über ihr zusammenschlagenden Wellen.

Ein raues Lachen war weithin zu hören: „Warte nur, kleine Meerjungfrau, gleich haben wir dich!“ Da wurde Linella doch etwas ängstlich. Sie streckte ihnen noch ein letztes Mal die Zunge heraus, und tauchte wieder hinab in das sichere Meerreich.

Finn schwamm dicht neben ihr. „Das war nicht besonders lustig“, schimpfte er. Linella schmunzelte, obwohl ihr danach nicht zumute war und sagte kleinlaut: „Was? Es ist doch alles gut gegangen.“ In ihrem Zimmer angekommen, setzte sie sich auf ihren rosafarbenen Muschelstuhl und versuchte, ihr rasendes Herz mit dem Bürsten ihres Haares zu beruhigen. Doch als sie in den Spiegel schaute, ließ sie vor Schreck ihren Kamm fallen. Die Glitzermuschel war verschwunden!

Schnell zischte sie hinaus und schwamm den Weg noch einmal zurück, Finn an ihrer Seite. Aber sie konnten den wertvollen Haarschmuck nirgends entdecken und an die Meeresoberfläche trauten sie sich nicht noch einmal, denn der Sturm hatte sich noch nicht gelegt. Traurig kehrte Linella in das Schloss zurück.

„Wir suchen morgen Früh noch einmal“, versuchte Finn seine Freundin zu trösten. Linella schluchzte laut. „Die Meeresströmung hat sie sicher mit sich gerissen. Jetzt werde ich nie wieder so schön singen können!“ „Hast du denn jemals versucht, ohne die Haarspange zu singen?“, fragte Finn vorsichtig. „Nein, selbstverständlich nicht. Und das werde ich auch nicht tun! Ich möchte meine grauenvolle Stimme nicht hören müssen und was werden die Anderen erst sagen?! Das Meeresfest ist schon in fünf Tagen. Was soll ich jetzt nur machen?“, seufzte sie. Das Herz wurde ganz schwer in ihrer Brust. „Vielleicht hast du ja auch eine schöne Singstimme und weißt es nur nicht, weil du dich nicht traust“, gab der Delfin zu bedenken. Aber Linella ließ sich nicht von ihrer Meinung abbringen: Mit der magischen Muschelhaarspange hatte sie nicht nur ihre Stimme sondern auch das Ansehen als Prinzessin von Aquana verloren. Niemand würde mehr zu ihr aufsehen.

Kapitel 2

„Hey Charly! Nicht so schnell. Du hast vier Pfoten und ich nur zwei Beine!“ Katrin rannte ihrem kleinen Hund am Strand hinterher. Der blieb plötzlich stehen und schnüffelte konzentriert an einer Stelle im Sand. Endlich hatte sie ihn erreicht. „Zu freundlich, dass du auf mich gewartet hast“, japste Katrin. „Was hast du da gefunden?“ Zwischen den hellen Körnern blitzte es. Katrin erkannte die Form einer Muschel. Sie kniete sich hin, um den Fund genauer betrachten zu können. Die Muschel war mit Perlen und blau glänzenden Steinen bestückt! Vorsichtig grub das Mädchen die Muschel aus. „Sie ist wunderhübsch. Oh, und noch dazu eine Haarspange! Mein erster Strandschatz“, freute sich das Mädchen und steckte sich das Schmuckstück sogleich in ihre braunen Locken.

Zu Hause angekommen, warf sie ihren Rucksack in die Ecke und schaltete das Radio ein.

Es lief ihr Lieblingslied. Sie wollte die Zeilen wie immer laut mitträllern. Hier hörte ihr schließlich niemand zu. Nach der ersten Strophe stoppte sie. Woher kam bitte diese Stimme? Das konnte wohl nicht ihre eigene sein? Kein schiefer Ton! Sie sang noch einmal leise vor sich hin. Sie war es wirklich selbst gewesen… Wie konnte das sein? In Gedanken versunken, wickelte Katrin eine braune Haarsträhne um ihren Finger, was sie immer machte, wenn sie nervös war. Was hatte sich seit heute Morgen verändert? „Natürlich, die Glitzermuschel!“, sagte sie laut. . Katrin nahm die Spange ab und sang noch einmal: Ja, da war sie wieder, ihre schiefe Stimme….

Katrin setzte sich an ihren Schreibtisch. Ihre Gedanken rasten. Diese Muschel würde ihr die Möglichkeit geben, im Schulchor mitsingen zu können! Dort standen die beliebten Mädchen alle hübsch nebeneinander und bekamen für ihre zarten Töne einen kräftigen Applaus. Besonders Conni mit ihrem strengen blonden Pferdeschwanz, den blauen Puppenaugen und der Engelsstimme wurde von allen bewundert. Doch nun sollte sich das ändern. Conni sollte vor Neid erblassen! Endlich würde Katrin auch einmal dazugehören. Gehört und vor allen Dingen gesehen werden – das wäre schön…

Später schaute Katrin in den Nachthimmel, die Füße tief im Sand vergraben. Immer wenn sie nachdenken musste oder einfach mal allein sein wollte, lief sie zu einem Freund, der ihr geduldig zuhörte und mit ruhiger Stimme antwortete: dem Meer.

Sonst hatte sie das weite Firmament über den mächtigen Wellen immer nur als schwarz und langweilig wahrgenommen. Heute jedoch, sah sie seine grauen und tiefblauen Töne. Die Sterne kamen ihr etwas näher vor als sonst, so, als könnte man mit den Fingern durch sie wie durch die Perlensammlung ihrer Oma gleiten. Da stürzte vor ihr eine Sternschnuppe in die dunklen Fluten. Katrin machte schnell die Augen zu und wünschte sich etwas.

Sie atmete tief ein und öffnete langsam wieder die Augen, die sich dann vor Erstaunen weiteten: Unter der Meeresoberfläche wirbelten wilde Glitzerfunken. Als würde die Sternschnuppe in das Wasser getaucht sein und jetzt die Wellen tanzen lassen. Aus einer sich aufbäumenden Welle formte sich eine große Wasserschildkröte, die sich dem Strand und damit Katrin näherte. Das Mädchen war vor Staunen nicht fähig, sich zu rühren. Statt Angst, ergriff sie eine ungeheure Sehnsucht. „Komm mit mir in das Reich Aquana und deine Wünsche werden sich erfüllen“, sagte das magische Wesen mit tiefer, sanfter Stimme. Katrin zögerte nicht und stieg auf den blauen Panzer.

Kein Tropfen ließ ihre Kleidung nass werden, ihre Füße fanden einen sicheren Halt. Als sie hoch oben saß, berührte sie noch einmal vorsichtig das Wassertier. Sie fühlte sich wie ein kühles Seidentuch an, was Katrin einen leichten Schauer den Rücken runterrieseln ließ. „Was mache ich hier eigentlich?“, fragte sie sich noch leise, bevor die Schildkröte sich wieder in den Ozean gleiten ließ und die Wellen über ihnen zusammenschlugen.

Alles um sie herum war in ein sanftes Blau getaucht. Kleine, schimmernde Fische schwammen an ihr vorbei und versteckten sich schnell in einer Seeanemone. Die leichte Strömung ließ die Tentakel einer rosafarbenen Qualle wie einen weiten Rock um sie herumschwingen. Korallen, die mit zarten orangenen Blüten geschmückt waren, bewegten sich sacht im Rhythmus des Meeres. „Ich träume“, flüsterte Katrin. Ein leichtes Vibrieren unter ihr zeigte an, dass die Schildkröte lachen musste. „Glaubst du etwa nicht an Wunder? Du hast dir von dem Aquastern etwas gewünscht und nun bist du hier. Nur alle 100 Jahre fällt solch ein Stern vom Himmel. Du hast ihn entdeckt und bist somit etwas ganz Besonderes.“ Katrin stieg die Röte in die Wangen. „Nein, das war bloß Zufall. Ich bin nur ein ganz normales, unscheinbares Mädchen.“ „Wir werden sehen“, raunte die Schildkröte.

„Ich werde dich noch bis zum Roten Riff tragen, dann musst du alleine deinen Weg finden.“ Katrin schüttelte etwas ungläubig den Kopf. „Meinen Weg? Wohin soll der führen?“ Es vibrierte wieder unter ihr. „Na zu deinem Wunsch, Liebes“, flüsterte die Wasserschildkröte und holte noch einmal Schwung.

Katrin hielt sich etwas stärker fest. Als sie auch die Beine anspannen wollte, merkte sie, dass irgendetwas nicht stimmte. Katrin schaute an sich herunter. Ihre Beine hatten sich in einen von tiefblauen und purpurnen Schuppen bedeckten Fischschwanz verwandelt! Ihre Arme trugen einen leichten Schimmer. Auf ihren Schultern lagen nicht mehr die braunen Haarsträhnen von einst: Nun waren sie von einem hellen Blau. Sie war überrascht, entsetzt und freudig aufgeregt zugleich. „Wie hast du das gemacht? Ich bin eine Meerjungfrau!“ „Das ist die Magie des Aquasterns. Was meinst du, warum du hier unten atmen und mit mir sprechen kannst? Wir sind übrigens da. Nun muss ich dich verlassen“, bekam sie als Antwort.

Die Wasserschildkröte begann sich unter ihr langsam wieder mit dem Meer zu vereinen. „Warte!“, rief Katrin verzweifelt, bevor sich die Schildkröte ganz aufgelöst hatte. „Was soll ich jetzt tun?!“ Wie aus weiter Ferne vernahm sie noch die tiefe Stimme: „Sei einfach du selbst, dann wird sich alles fügen!“

Da war sie nun. Allein in einem riesigen Ozean. Nicht länger ein Mensch sondern eine Meerjungfrau. „Ich kann jetzt noch eine Weile verzweifelt vor mich hin starren oder endlich ein Abenteuer starten. Los, du schaffst das Katrin!“, sagte sie laut zu sich selbst. Zaghaft wagte sie die ersten Schwimmversuche. Es fühlte sich erstaunlicherweise sooo gut an. Sie glitt etwas schneller durch die Fluten, spürte, wie sie sanft an ihr vorbeistrichen. Katrin machte eine Pirouette und gluckste vor Freude über die wild wirbelnden Luftblasen, die sie damit erzeugt hatte. Das neu gewonnene Gefühl der Freiheit und der Leichtigkeit mussten irgendwie aus ihr heraus, sonst würde sie noch platzen! Katrin begann mit lauter, wunderschöner Stimme zu singen.

Finn hielt während seiner Suche abrupt inne. Was war das für ein Gesang? Der klang ja fast genauso schön wie der von Linella! Hatte sie etwa die Muschelhaarspange gefunden? Schnell schwamm Finn der lauter werdenden Musik entgegen. „Linella, ich wusste, du würdest sie fin…“, wollte er schon von weitem rufen. Aber diese singende Meerjungfrau war nicht die Prinzessin von Aquana. „Oh. Hallo. Was finden?“, fragte Katrin etwas neugierig aber höflich nach. „Die Magische Muschelhaarspange. Steckt man sie sich ins Haar, kann man wunderschön singen. Sie gehört meiner Freundin Linella. Wir suchen die Muschelhaarspange schon seit zwei Tagen. Du hast sie nicht zufällig gesehen?“ Sein Blick glitt über ihr wallendes Haar und blieb an dessen Schmuck hängen.

„Nein, habe ich nicht“, kam es schnell aus Katrins Mund geschossen. Moment mal, hatte sie das wirklich gesagt? Was wenn dies tatsächlich die verloren geglaubte Muschel war? Aber wenn sie diese gleich wieder hergab, würde sie auch die neue Gabe verlieren und das wollte Katrin nicht – zumindest nicht so bald. Finn schaute sie etwas misstrauisch an. „Woher hast du dann die Spange in deinem Haar?“ „Die habe ich von meiner Mutter geschenkt bekommen und die hat sie von ihrer Mutter“, log sie weiter. Jetzt gab es kein Zurück mehr.

Etwas unwohl war ihr dabei trotzdem. Sie zögerte, dann schlug sie vor: „Ich kann euch gerne weiter suchen helfen oder sie der Prinzessin mal ausborgen.“ Finn dachte angestrengt nach: „Wenn du auch solch eine Magische Muschelhaarspange besitzt, könnte es doch sein, dass noch weitere existieren. Wir müssen unbedingt Tinus, die uralte Muräne, aufsuchen. Er weiß alles und kann uns vielleicht weiterhelfen. Sie biss sich auf die Unterlippe. Vielleicht hatte der Delfin ja wirklich Recht und es gab nicht nur eine Muschelspange. Der Haarschmuck vom Strand müsste somit nicht zwingend der von Linella gewesen sein. Sie würden eine Neue finden und alles wäre gar nicht so schlimm. Finn riss sie aus ihren Gedanken. „Jetzt schwimmen wir erst einmal zu Linella und hören, was sie dazu sagt. Sie wird erst einmal erleichtert sein, auf dem Fest auftreten zu können.“

Kapitel 3

Die kleine Meeresprinzessin schaute missmutig aus dem Fenster. Sie hatte nun Stunden gesucht und absolut nichts gefunden. Es war vollkommen hoffnungslos. Linella atmete scharf aus und blies damit eine lose Haarsträhne aus ihrem Gesicht.

Da kam Finn mit Katrin im Schlepptau. Sofort rauschte die Aufregung gleich einem Wasserstrudel durch Linellas Körper. „Und? Sag, dass du sie gefunden hast!“ Finn wollte etwas sagen, kam aber nicht sehr weit, da der Blick der Meeresprinzessin sofort auf Katrin und deren Haar fiel. „Wer bist du? Und warum hast du meine Muschelhaarspange?“, fragte sie mit spitzer Stimme. „Das ist leider nicht deine. Diese wird in der Familie des Mädchens von der Mutter an die Tochter weitergegeben“, antwortete Finn für Katrin. Und sprach gleich weiter, um Linellas Verhör ein Ende zu machen: „Es muss also noch mehrere geben. Wenn deine Muschelhaarspange verloren ist, besorgen wir uns einfach eine Neue. Der alte Tinus wird uns bestimmt etwas dazu sagen können. Du brauchst dich auch nicht wegen der Feierlichkeit zu sorgen. Katrin leiht dir die Ihrige gerne aus.“

Linellas Mundwinkel hoben sich leicht und in ihre Augen kehrte etwas von dem früheren Leuchten zurück. „Danke, Katrin, das ist sehr lieb von dir. Aber ich möchte doch mit meiner eigenen Haarspange auftreten. Und was soll dann nach dem Auftritt sein? Man kennt mich, die Prinzessin von Aquana, mit Spange im Haar und einem schönen Lied auf den Lippen. Ohne die Muschelhaarspange fühle ich mich nicht wie ich selbst.“ Sie schaute Finn bestimmt an. „Lass uns also aufbrechen. Wir dürfen keine Zeit verlieren.“ „Ich werde euch begleiten“, sagte Katrin schnell. Ihr war zwar immer noch flau im Magen, aber sie hoffte, dass dieser Tinus wirklich zu berichten hatte, dass es nicht nur eine Magische Muschelhaarspange gab.

Katrin hatte Mühe, mit dem Tempo der Beiden mitzuhalten. Nicht nur der Umgang mit dem Meerjungfrauenschwanz machte ihr zu schaffen: oft geriet sie in einen Fischschwarm, konnte in dessen Innerem nichts als Flossen und blinkende Augen sehen, oder sie musste innehalten, gefesselt von der Schönheit der Unterwasserwelt. So wurde sie von Finn aus der Betrachtung einer Walmutter, deren Kalb dicht an ihrer Seite schwamm, gerissen. „Wo bleibst du denn? Sag bloß, du hast noch nie einen Wal gesehen?“ „Natürlich!“, erwiderte Katrin und dachte bei sich: „Na klar, in einer Fernsehdokumentation…“ Sie holte mit den Armen kräftig Schwung und schwamm schnell los, sodass Finn von dieser kleinen Stoßwelle ein Stück nach hinten geschubst wurde. Mit einem Lachen schaute sich Katrin um: „Na komm. Den letzten beißen die Haie!“ Das ließ sich der Delphin nicht zweimal sagen…

„Wir sind da“, sagte Linella. Vor ihnen erhob sich eine steile Felswand. Sie sah aus, als würde sie hier schon seit Anbeginn der Zeit stehen. Das dunkle Grau des kantigen Steins war von Löchern durchbrochen. Kleine Fenster, durch die das geheimnisvolle Licht des Ozeans auf sie fiel. „Ich dachte, wir suchen eine finstere Höhle. Wo soll dieser Tinus denn sein?“, fragte Katrin laut. „Her onten, da Naheweis“, hörte sie eine undeutliche Stimme grimmig sagen. Und tatsächlich: aus einer dunklen Felsspalte schaute der längliche Kopf der Muräne heraus.

Das Maul mit den kleinen, spitzen Zähnen hatte sie weit offen, damit die quirlige Putzergarnele ihre Arbeit tun konnte. Die drei Freunde schwammen nach unten. Die Muräne schaute sie etwas verärgert mit ihrem einen Auge an. Da, wo das zweite sein sollte, prangte eine Zackennarbe. „Schau nicht so, lieber Tinus“, versuchte Linella ihn zu beschwichtigen. „Wir haben dir auch etwas mitgebracht.“ Die Meerjungfrau holte aus ihrer Tasche eine schwarze Perle hervor. Die Muräne klappte mit einem Mal ihr Maul zu, sodass sich die Putzergarnele mit einem empörten Blubbern gerade noch in Sicherheit bringen konnte. Tinus kam noch etwas mehr aus seiner Höhle und gab damit den Blick auf seinen langgezogenen, samtig schwarzen Leib preis. Er schnappte sich die Perle schnell aus Linellas Hand. „Die hatte mir noch in meiner Sammlung gefehlt“, murmelte er leise und wollte sich wieder zurückziehen.

„Halt!“, rief die Prinzessin von Aquana schnell. „Kannst du uns etwas über die magischen Muschelhaarspangen, die ihrem Besitzer die schönste aller Stimmen schenken, erzählen?“ Im Höhleneingang blieb es dunkel und still. Einige Sekunden verstrichen, und die Freunde dachten schon, Tinus wolle sie nicht anhören, als seine kratzige Stimme aus dem Inneren drang: „Warum willst du das wissen? Du schöne Prinzessin hast doch schon eine.“ „Nicht mehr“, seufzte Linella. „Ich habe sie bei dem Spiel mit den stürmischen Wassergeistern verloren.“

„Das ist nicht gut..“, stellte Tinus bestimmt fest und streckte seinen Kopf wieder aus der Felsspalte. Er blinzelte dreimal mit seinem runden, gelben Auge. „Magische Gegenstände suchen sich eigentlich ihren Besitzer aus und nicht umgekehrt. Sie hat sich dich ausgesucht und ist so einmalig mit dir verbunden.“ „Ja“, stimmte ihm Linella zu. „Als kleines Mädchen habe ich mit meinen Schwestern verstecken gespielt. Ich zwängte mich in eine gefährliche Felsspalte. Dort lag sie: die Muschelhaarspange. Etwas drängte mich dazu, sie mir ins Haar zu stecken und zu singen. Ohne meinen Gesang hätten mich die Schwestern wohl nicht so schnell finden und befreien können.“ Tinus nickte.

„Ich weiß außer der Euren nur noch von einer Muschel. Die ist allerdings im Besitz des finstersten Tieres des Meeres: dem Riesentintenfisch Balsakus. Er lebt in der kalten Tiefe in völliger Dunkelheit.“ „Balsakus kann mit der Muschelhaarspange doch gar nichts anfangen“, warf Katrin ein. „Sie gehörte einst der Meerhexe Lavanda. Ihr Gesang brachte Könige zum Niederknien, besänftigte Stürme und ließ den Ozean erstrahlen.“ „Was ist mit ihr geschehen?“, fragte Finn. „Sie wurde von einem auf den anderen Tag nicht mehr gesehen. Ob Balsakus sie zusammen mit der Muschel in die Tiefe gerissen hat, weiß niemand“, antwortete ihm Tinus mit trauriger Stimme.

Linella hatte die ganze Zeit still zugehört. „Wir wagen uns in die Tiefe! Wenn Balsakus die Muschel allein für sich behält, werden wir sie wieder zurückholen. Vielleicht kann ich sie mir so verdienen. Sollte Balsakus die Meerhexe gefangen halten, werden wir sie befreien. Egal, was oder wen wir dort unten finden werden, die Muschelhaarspange gehört in das Haar einer Meerjungfrau!“

„Das ist sehr mutig. Einen wichtigen Ratschlag will euch aber noch mit auf den Weg geben: „Seid stets ihr selbst, egal was dort unten auf euch lauert. Dann wird euch alles gelingen.“ Katrin blieb fast das Herz stehen. Genau das hatte die Schildkröte, die sie hergebracht hatte, auch zu ihr gesagt. Das schlechte Gewissen begann sich wieder zu melden. Sie hatte Linella und Finn über ihre Muschelhaarspange angelogen. Hoffentlich würde sich das nicht schlecht auf ihre Suche auswirken. Oder war diese ganz und gar umsonst, weil sie Linellas Haarspange trug?

Kapitel 4

Je weiter sie an den großen Abgrund kamen, desto blasser wurden die kräftigen Farben des Meeres, bis sie ganz von einem grauen Schleier bedeckt waren. In dieser Ödnis gab es nicht viel Leben. Ab und zu wirbelte der Sand unten ihnen plötzlich auf: Räuber, die gut versteckt ihre Beute anlockten. Fröstelnd strich Katrin sich über die Arme. Wenn es schon hier für sie so unheimlich war, wie sollte sie das ihr Bevorstehende schaffen? Finn bemerkte Katrins Unbehagen. Er stupste sie leicht mit seiner Nase an. „Wir machen das zusammen. Uns kann also nichts passieren.“ Das Mädchen gab ihm ein leichtes Lächeln zur Antwort.

Dann waren sie endlich da: der Abgrund öffnete sich gleich einem Riss in der Welt vor ihnen. Linella war ohne zu zögern über die schroffe Kante in die Finsternis abgetaucht, Finn hatte sich, nachdem er Katrin aufmunternd angeschaut hatte, ihr angeschlossen. Katrin wünschte, dass nur ein kleines bisschen von der Entschlossenheit der Meeresprinzessin auch auf sie überschwappen würde. Sie schwamm für ein paar Sekunden auf der Stelle, dann nickte sie und folgte dem in der Dunkelheit noch einmal aufblitzenden Schwanzflosse des Delphins.

„Ich kann nichts sehen“, murrte Finn. Sie schwammen langsam nach unten, um sich nicht an irgendetwas zu stoßen, oder die Wesen der Tiefe auf sich aufmerksam zu machen. Auch Katrin musste sich auf ihren Tastsinn verlassen, eine Hand immer am rauen Stein der Felswand. Nur schwach konnte sie Konturen von schroffem Gestein zu beiden Seiten wahrnehmen. Schaute man nach unten, war da nichts Anderes außer tiefer Schwärze und Kälte, die sich wie eine langsam zupackende Hand um sie schloss. Da leuchtete in einer Nische ein kleines Licht auf. Schnell verschwand es wieder, als ob es Katrins Blick bemerkt hätte. „Habt ihr das kleine Licht auch gesehen?“, fragte sie ihre Freunde. „Nein“, flüsterte Linella. „Pass auf, hier unten können deine Sinne leicht getäuscht werden.“ Katrin schüttelte den Kopf. Sie war doch nicht verrückt. Da war etwas gewesen.

Eine ganze Weile schwammen sie so weiter. Ohne zu wissen, wie lange sie unterwegs oder wie tief sie mittlerweile in das Reich des Riesentintenfisches eingedrungen waren. Da war das Licht schon wieder! Es verfolgte sie! Katrin rieb sich die Augen. Diesmal war es nicht ganz verschwunden. Es tauchte nicht weit entfernt von ihnen wieder auf. „Halt!“; rief Katrin und versuchte, es in eine Ecke zu drängen. Schnell war es ihr wieder entwischt. Jetzt wurden auch Linella und Finn auf die Verfolgungsjagd und damit auf den kleinen hellen Flitzepunkt aufmerksam.

Nun zu dritt, versuchten sie ihn einzukreisen. Als es keinen Ausweg mehr gab, hörten sie seine hohe Stimme: „Ist ja gut, ist ja gut. Ich bin doch nur neugierig.“ Das Leuchten wurde etwas schwächer und nun konnten die Gefährten erkennen, wen sie da gefangen hatten.

„Es ist bloß ein kleiner Laternenfisch“, sagte Linella und wollte sich sofort wieder abwenden. Das Licht, welches entlang des Fischkörpers unter der Haut grün schimmerte, glomm stärker auf. „Was heißt hier bloß? Ich bin Calimar, der persönliche Berater des großen Balsakus, dem Riesentintenfisch. Und er wird nicht über das erfreut sein, was ihr hier mit mir macht!“, rief er und fächerte seine Flossen auf, um etwas größer zu erscheinen. Die Prinzessin von Aquana kam sofort auf ihn zugeschossen. „So, was machen wir denn mit dir?“, fragte sie mit honigsüßer Stimme. Der Laternenfisch stotterte eingeschüchtert: „Nniiichts Sschlimmes, da ihr doch nnnette Meerjungfrauen seid?“ „Wenn du ebenso anständig bist wie wir, kannst du uns ja ganz bestimmt zu dem Versteck deines Herren führen. Er hat etwas gestohlen, was nicht in seine Tentakel gehört“, antwortete ihm Katrin. Der Laternenfisch wich empört zurück. „Das werde ich sicher nicht tun!“

Er besann sich kurz. Dann wurden seine großen, hellblauen Augen schmal. „Wenn ich es mir aber doch anders überlegen sollte, was springt für mich dabei heraus?“ „Hmm… Wir werden dich nicht als Laterne benutzen“, erwiderte Finn mit einem kleinen Grinsen. Katrin fügte noch hinzu: „Du würdest beim König von Aquana in hoher Gunst, als der Fisch, der seiner Tochter geholfen hat, ihre schöne Stimme wiederzubekommen, stehen.“ Der Laternenfisch schwamm zweimal um den Kopf des Delfins. „Es kann ja nicht schaden, den König seinen besten Freund nennen zu dürfen. Dagegen kann der olle Riesentintenfisch einpacken.“ Dann hielt Calimar kurz inne. „Jetzt verstehe ich! Ihr wollt die Magische Muschelhaarspange: den bestgehütetsten Schatz des Tinters. Das wird nicht einfach werden. Aber mit mir, als starken und cleveren Gefährten, wird euch schon nichts passieren“, sagte er mit einer tiefen Verbeugung vor Linella. Die Meeresprinzessin schnaubte und schaute ungläubig Katrin und Finn an. Ob sie diesem Halunken trauen konnten, wussten sie nicht, doch er war bis jetzt ihre erste und einzige Spur zu dem Ungeheuer der Tiefe.

Weiter ging es nach unten. Hier entlang, meine Damen und der Herr Delfin. Es ist nicht mehr weit. Balsakus haust in einer Nische der Felswand. Er verlässt sie nur, wenn das Knurren seines Magens ihn nicht ruhen lässt, oder wenn sie zu laut singt. Die Freunde fragten wie aus einem Munde: „Wer ist „SIE“?!“ Der Laternenfisch kicherte. „An der Muschelhaarspange, die ihr so unbedingt haben wollt, hängt noch eine junge Dame.“ „Lavanda“, flüsterte Linella. „Ganz recht, die liebreizende Lavanda“, stimmte ihr der Laternenfisch zu. „Wie ist sie in seine Fänge geraten?“, wollte Katrin wissen. Calimar drehte sich scheinbar gelangweilt auf den Rücken. „Balsakus entführte sie, als sie sich auf der Suche nach seltenen Perlen zu nahe an den Abgrund gewagt hatte. Wisst ihr, hier unten kann es sehr einsam sein. So ohne Licht, lustige Spiele und anderem Zeitvertreib. Er nahm der schönen Lavanda ihren Zauberring, ohne den sie nur eine einfache Meerjungfrau ist, ließ ihr aber die Muschelhaarspange, damit sie ihn mit ihrem Gesang unterhalten kann. Nun sitzt die Arme dort unten in einem Käfig fest und hofft auf ihre Befreiung.“

Linella spürte, wie die Wut sich wie kräftige Tentakel um ihre Brust schlangen. „Wir holen sie da raus. Wie kommen wir an diesen Ring?“ Der Laternenfisch hielt von der aufgebrachten Meerjungfrau immer noch einen gewissen Sicherheitsabstand und antwortete: „Balsakus hat es durch sein schwarzes Tintenherz geschafft, den einst strahlend weißen Ring dunkel zu färben und ihm damit seine Kraft zu rauben. Er trägt ihn immer bei sich. Findet den Ring, nehmt von ihm den dunklen Schleier und nutzt seine Macht für die Befreiung der Zauberin. Ganz einfach“, beendete er seinen Ratschlag mit einem schiefen Grinsen. „Beeilen wir uns“, sagte Katrin nur knapp. Lavanda durfte keine einzige Sekunde länger in ihrem dunklen Gefängnis verbringen.

Sie schwammen immer tiefer, folgten dem kleinen Licht, in der sie umgebenden Schwärze. Mittlerweile hatte sich Katrin an die Dunkelheit und die Stille gewöhnt. Das Gefühl, einfach im Nichts zu schweben, verstärkte sich mit jeder Sekunde. Den Anderen schien es ähnlich zu gehen. Da stoppte das kleine Licht vor ihnen. „Ihr seid ja echt gesprächig. Ich dachte, es kommt mal ein bisschen Abwechslung. Aber es soll mir recht sein. Gleich erreichen wir Balsakus` Versteck. Über eure Lippen darf kein lautes Wort kommen, schwimmt langsam. Falls Balsakus doch in seinem Versteck sein sollte, wird er jede noch so kleine Erschütterung wahrnehmen“, flüsterte Calimar. Linella wollte über diese dreiste Aufforderung schon erbost antworten, als sie den klaffenden Riss in der Felswand bemerkte. Aus ihr schien ein noch dunkleres Schwarz zu fließen, sodass die Gefährten in der Erwartung damit befleckt zu sein, erschrocken an sich herunter schauten. Doch nichts. Auf Katrins Armen stellten sich die kleinen Härchen auf. Man konnte die kraftvolle Düsternis des Riesentintenfischs förmlich spüren.

Auch Calimar fühlte die Anwesenheit seines Herren. Sein Leuchten wurde etwas schwächer. „Er hat es sich wohl anders überlegt und ist doch in seinem gemütlichen Zuhause geblieben“, bemerkte er mit leiser Stimme. Der Laternenfisch drehte sich zu den Gefährten um. „Ich werde hineinschwimmen und die Lage auskundschaften. Gleich müsste Lavanda ihn für seine Nachmittagsruhe in den Schlaf singen. Ich rufe euch, wenn er im Schlummerland ist. Dann können wir den Ring stehlen und die Meerhexe befreien.“ „Woher wissen wir, dass du deinem Herren nicht direkt verrätst, dass draußen Diebe lauern?“, zischte Linella. „Auf mich wartet doch die Belohnung des großen Königs von Aquana, oder irre ich mich?“, erwiderte er grinsend mit schief gelegtem Kopf. „Das werden wir noch sehen!“, sagte Linella schnell. „Und nun schwimm endlich hinein und verplapper dich nicht!“ Calimar verbeugte sich spöttisch und bald wurde sein schwaches Licht von der Schwärze verschluckt.

Kapitel 5

Finn schwamm ungeduldig zwischen seinen Gefährtinnen und der Felsspalte hin und her. „Er ist da schon ziemlich lange drin. Ich höre keinen Mucks. Vielleicht gibt es ja weder Lavanda noch diesen Balsakus und alles ist nur ein Schwindel!“ Wie zur Antwort drang aus dem Spalte eine leise Melodie an ihren Ohren.

Die feinen, lauter werdenden Töne schienen wie zu einer warmen Decke verwoben, die sie sanft einhüllte. Katrins Augenlider wurden schwer. Erst versuchte sie sie blinzelnd offen zu halten, dann wehrte sie sich nicht mehr gegen die sie überwältigende Müdigkeit und schloss langsam die Augen. Verschwunden waren Angst, Ungewissheit und Aufregung. Sie wollte nur noch in einen ruhigen Schlaf fallen…

Etwas zerrte an ihr. Aber sie wollte nicht wieder zurück in diese kühle, pechschwarze Finsternis. Katrin kräuselte die Stirn und murmelte: „Nur noch fünf Minuten. Es ist viel zu früh.“ Da knuffte sie jemand so sehr in die Seite, dass sie hochschreckte.

Vor sich sah sie zwei gelbe Glubschaugen, die sie wild anstarrten. Der Abgrund! Lavanda und die Muschelhaarspange! Alles prasselte wieder auf sie ein. Sie war unaufmerksam gewesen. Ob ein Untier aus der Tiefe sie entdeckt hatte und sich jetzt ein leckeres Mahl machen wollte? Doch bevor sie um Hilfe schreien konnte, kam ihr das Etwas zuvor:

„Für ein Schönheitsschläfchen ist jetzt keine Zeit!“ Katrin schüttelte kurz ihren Kopf, um wach zu werden. „Calimar!“, rief sie entrüstet. „Weißt du, was du mir für einen riesigen Schrecken eingejagt hast?!“ Der Laternenfisch kicherte. „Wenigstens bist du jetzt wach.“ Katrin schaute sich um. Auch Linella und Finn rieben sich die Augen. Mit noch leicht schläfriger Stimme fragte Linella: „War das etwa..?“ „Ja, Lavanda hat es wie immer geschafft, Balsakus in den Schlaf zu singen. Und bei euch hat das auch super geklappt“, bemerkte der Laternenfisch spöttisch.

Linella ärgerte sich. Wie hatte sie nur so leicht die Kontrolle verlieren und einfach einschlafen können? Die Prinzessin von Aquana fuhr sich mit der Hand durch ihr langes, goldenes Haar. Doch die sonst so beruhigende Wirkung wollte sich nicht einstellen. Calimar wandte sich in Richtung der Felsspalte. „Hiermit lade ich euch recht herzlich in das gemütliche Heim des berühmten und gefürchteten Balsakus Riesentintenfisch ein. Auf dass er nicht jemanden von uns verspeise oder in ewiger Gefangenschaft halte.“ Die Gefährten schauten ihn grimmig an und schwammen an seinem blauen Licht vorbei, hin zu dem steinernen Schlund.

In der Höhle war es gar nicht so finster wie sie angenommen hatten. Nach der langen Zeit im Dunkeln musste Katrin sofort die Augen zusammenkneifen. Ein helles Blau, mit einem leicht silbrigen Schein, umschmeichelte in kleinen Wellen den nackten Fels. Mit jedem Schwimmzug, den sie in die Höhle hinein taten, wurde es kräftiger. „Na, habe ich zu viel versprochen?“, forderte Calimar seine Begleiter heraus. „Wo kommt dieses Blau her?“, wollte Finn wissen. „Wen hat er dafür gefangen genommen?“, fügte Linella noch etwas spitz hinzu. „Niemanden. Das sind Meeresleuchttierchen, die das sie umgebende Wasser blau färben. Es ist ein kleines Wunder, dass sie so weit unten dieses Zauberwerk veranstalten. Unser Balsakus hat diese Höhle gleich für sich beansprucht. Der Tinter weiß schon, wie es sich gut leben lässt.“

Vorsichtig schwammen sie weiter. Da ließ ein heftiges Beben die Höhle erzittern. Kleine Steine fielen von der Decke, es wurde schlagartig dunkel. Das Spektakel dauerte nur einige Sekunden, dann wurde es wieder hell. Erschrocken hatten sich die drei Gefährten auf dem Boden zusammengekauert, die Arme schützend über den Kopf gelegt. Nur Calimar schwamm fröhlich Kreise. „Na, wer ist hier nicht ganz so mutig?“ „Sag uns sofort, was das war! Weiß er, dass wir hier sind?“, fragte Finn mit wild pochendem Herzen. „Ach kommt schon. Nein, natürlich nicht. Der alte Tinter schnarcht doch bloß, dass die Wände wackeln. Wenn ihr jetzt schon so ängstlich seid, was wird dann erst, wenn ihr ihm tatsächlich begegnet?“, sagte der Laternenfisch spöttisch. „Wir wissen nur gerne, mit wem oder was wir es zu tun haben“, antwortete ihm Linella mit zusammengekniffenen Augen.

Die Gefährten kamen nur langsam voran. Die Höhle war tiefer als gedacht und hatte mehrere Gänge. Sie glich einem Labyrinth. Nach weiteren Beben hatten sie oft gedacht, Calimar verloren zu haben, doch dann sahen sie wieder sein schwaches grünes Leuchten an der Felswand. So wenig sie ihm auch vertrauten, so wussten sie doch, dass sie ohne den Laternenfisch niemals den richtigen Weg gefunden hätten. Leise wisperte es in Katrins Kopf: „Werden wir auch den richtigen Weg finden, wenn wir hier schnell wieder heraus wollen?“

Calimar stoppte. „Hinter dieser Biegung schläft Balsakus. Am Besten ist es, wenn nur einer hinein schwimmt, sich den Ring schnappt und sofort wieder zu uns zurückkommt. Wir müssen erst die Dunkelheit von ihm nehmen, damit die Meerhexe ihn für ihre Befreiung nutzen kann. Also entscheidet euch schnell.“

Katrin wusste tief in ihrem Inneren, dass sie es sein musste. Mit ihrem Wunsch, endlich den Mantel der Unscheinbarkeit abwerfen zu können, war eine Aufgabe verbunden. Außerdem hatte sie ihre Gefährten schon wegen der Herkunft ihrer magischen Muschelhaarspange angelogen. Jetzt durfte sie sie nicht bei ihrem Vorhaben scheitern lassen. Katrin schob entschlossen das Kinn vor: „Ich werde es machen. Ich bin immerhin die Trägerin einer magischen Muschelhaarspange. Sie wird mir in der Not eine Hilfe sein.“

Linella, als Prinzessin von Aquana, hätte sich am liebsten selbst in die Gefahr gestürzt, musste aber einsehen, dass Katrins die bessere Wahl war. Sanft legte sie ihrer Freundin eine Hand auf die Schulter. „Wir setzen all unsere Hoffnung in dich. Wenn aber doch etwas schief gehen sollte, rufst du sofort um Hilfe und wir werden so schnell wie möglich an deiner Seite sein. Katrin versuchte zu lächeln und senkte leicht den Kopf. Dann wandte sie sich um und schwamm ihrer düsteren Bestimmung entgegen.

Kapitel 6

Katrin presste sich eng an die Mauer, versuchte unsichtbar zu sein. Das spitze, harte Gestein bohrte sich in ihren Rücken. Ihr Atem ging flach. Wo war nur ihr Mut hin? „Ich bin ein starkes Mädchen“, kam es flüsternd über ihre Lippen. Vor ihrem Gesicht erschien das freundlich lächelnde Antlitz der Meeresschildkröte, der sie dieses Abenteuer zu verdanken hatte. „Du bist ein starkes Mädchen. Vertraue auf dich“, hallte die Stimme des magischen Meerestieres in ihrem Inneren wieder. Katrins Bauch kribbelte, ihr Herz schien kräftiger zu schlagen. Sie nickte der Schildkröte zu, bevor sich deren Körper wieder mit dem Wasser verband. Ja, da war es, das Gefühl, dass sie alles schaffen konnte. Ganz deutlich brannte es in ihr wie ein helles Feuer in einer dunklen Nacht.

Vorsichtig wagte sie einen Blick hinter die schützende Wand. Auch hier war alles in ein sanftes Blau getaucht. Doch der friedliche Schein trog. Inmitten der blauen Oase hatte sich ein feuerrotes Untier zur Ruhe gebettet.

Da war er: Balsakus, in seiner ganzen monströsen Riesenhaftigkeit. Zehn tiefrote Arme, jeder mit zwei Reihen starker Saugnäpfe besetzt, von denen jeder einzelne mindestens so groß wie ihre Handfläche war, lagen um seinen länglichen Kopf. Die großen Augen waren fest geschlossen. Das war ihre Chance. Das Ungeheuer schlief tief und fest.

Sein Körper schien den ganzen Raum auszufüllen. Katrin blieb kaum Platz, damit sie unbemerkt um ihn herum schwimmen und den Ring suchen konnte. Ein Tentakel neben ihr zuckte. Oh nein, hatte sie ihn etwa mit ihrer Schwanzflosse berührt? Schnell kontrollierte die Meerjungfrau seine Augen. Geschlossen. Puh, zum Glück. Schnell glitt ihr Blick über das Gewirr von Tentakeln, seinen Beutefängern von mindestens zehn Metern Länge. Nichts. Kein glänzendes Schwarz zwischen dem kräftigen Rot. Ein Zittern ging durch ihren Körper. Sie würde den Ring nie finden, ohne ihn zu wecken. Oder aber er war in einer der zahlreichen Höhlen in diesem unterirdischen Labyrinth versteckt. Was sollte Katrin jetzt nur machen?

Plötzlich gab der Riesentintenfisch ein lautes, entsetzliches Geräusch von sich. Gleichzeitig bewegte er seinen massigen Körper auf die andere Seite. Die Höhle bebte. Steine fielen polternd zu Boden. Katrin duckte sich gerade unter einem herabstürzenden Felsbrocken hinweg, als sie aus den Augenwinkeln einen roten Krakenarm auf sich zukommen sah. „Ich werde hier nicht mehr herauskommen. Nein, ich sollte wegschwimmen! Jetzt!“, wummerte es in ihrem Kopf. Aber sie war starr vor Schreck. Ein riesiger Saugnapfarm kam rasend schnell auf sie zu. Katrin schaffte es nicht schnell genug, ihm auszuweichen und die schwere Last begrub ihren Körper unter sich.

Katrin rieb sich den schmerzenden Arm. In ihrem Mund schmeckte sie Morast. Vorsichtig wollte sie ihre Schwanzflosse bewegen, aber… „Er hält mich fest“, murmelte sie. „Nur keine Panik.“ Wenn sie sich jetzt wild zu entwinden versuchte, würde Balsakus doch noch aus seinem Schlaf erwachen. Ihr Glück war, dass er noch nicht bemerkt hatte, was oder wen er da in seinem Griff hatte.

„Ich muss warten, bis er den nächsten großen Schnarcher macht. Dann bewegt er sich vielleicht wieder und gibt mich frei“, versuchte sich Katrin zu beruhigen. Es vergingen quälende Sekunden und Minuten. Nichts war zu vernehmen, außer den tiefen Atemzügen des Untieres.

Sollte sie ihn einfach kitzeln, damit er sich bewegte? Nein, zu gefährlich. In ihr stieg das dringende Bedürfnis, nach der Hilfe von Linella und Finn zu rufen, wie eine große Seifenblase auf. Doch das durfte sie nicht. Von dem Ruf würde Balsakus erwachen. Katrin wollte ihre Freunde nicht auch noch in Gefahr bringen.

Wenn es hier nur nicht so schrecklich nach stinkendem Fisch riechen würde. Katrin hielt sich die Nase zu und schaute nach oben. Nur einen Flossenschlag entfernt, strömte aus dem papageienähnlichen Schnabel des Seeungeheuers fauliger Atem. Zwei weiße Zangen, die alles zermalmten, was sie in die Fänge bekamen, klackten leise. Katrin lief ein kalter Schauer über den Rücken. Sie wollte den Blick von dieser viel zu nahen Bedrohung sofort wieder abwenden, als sie im blauen Licht etwas aufblitzen sah. Das Mädchen zwang sich, genauer hinzuschauen. Was war das nur? Nein, das konnte doch nicht etwa…? Doch ganz sicher sogar! Knapp unter dem gefährlichen Fresswerkzeug wand sich eine geflochtene Kette aus silbrig schimmerndem Seegras um den glitschigen Kopf des Ungeheuers und daran baumelte etwas Kleines, wie Onyx Glänzendes: der Zauberring von Lavanda der Meerhexe!

Sie konnte nicht mehr länger warten. Hier eingeklemmt zu sein und auf den Zufall zu hoffen… Katrin schloss die Augen. In ihrem Kopf drehten sich die Gedanken und keiner erschien ihr hilfreich. Sie musste sich konzentrieren. Sie musste ihren Geist zur Ruhe bringen, damit ihr Körper stark sein konnte. Das Mädchen versuchte all das Furchtbare auszublenden, suchte in sich selbst einen friedlichen Ort, einen Ort der Ruhe und der Sicherheit. Da war was! Katrin konzentrierte sich auf das immer stärker werdende warme Gefühl in ihrem Bauch:

Sie war wieder zu Hause, in ihrem kuscheligen Bett. Mama gab ihr einen Kuss auf die Stirn und summte dabei eine zarte Melodie. Mit einem Blick voller Liebe schaute sie Katrin in die Augen und begann, die ersten Worte zu singen. Katrin stimmte mit in ihr Lieblingsgutenachtlied ein.

Und in der Höhle, ganz tief im Meer kam das Lied über die Lippen der Meerjungfrau. Die Magische Muschelhaarspange in ihrem Haar leuchtete hell, machte jeden einzelnen Ton zu etwas ganz Besonderem. Ihr Lied verzauberte ähnlich dem Lavandas. Der Riesentintenfisch entspannte sich vollends und lockerte somit auch den Griff um Katrins Hüfte. Vorsichtig befreite sie sich von seinem Arm. „Frei, frei, frei. Ich bin frei!“, hallte es in ihrem Kopf. Aber Katrin hatte nicht vergessen, warum sie hier war. Sie sang weiter, näherte sich mit vorsichtigen Schwimmbewegungen dem grässlichen Maul. Aus ihrem Gürtel zog sie ein kleines Messer. Das mit Perlen besetzte Schmuckstück hatte Linella ihr geschenkt, bevor sich die Gefährten getrennt hatten. „Nimm es. Benutze es nur, wenn es unbedingt nötig ist“, hatte sie ihr eindringlich gesagt. Nun war es soweit.

Mit einer schnellen, fließenden Bewegung hatte sie das Band durchgeschnitten und den Ring aufgefangen. Etwas ungläubig starrte sie das tiefschwarze Schmuckstück in ihrer Hand an. Das war schon fast ein bisschen zu leicht gewesen. Katrin schaute noch einmal in das Gesicht des friedlich schlafenden Ungeheuers. „Aber du hast auch nicht damit gerechnet, dass dir irgendwer mal so nah kommen könnte“, gab sie sich selbst die Antwort.

Kapitel 7

Wieder hielt es Finn vor Ungeduld kaum aus. „Ich werde ihr jetzt hinterher schwimmen, egal ob ihr das wollt oder nicht“, sagte er bestimmt zu Linella und Calimar. Der Laternenfisch winkte abschätzend mit seiner Flosse ab. „Das Mädchen ist erst eine halbe Stunde da drin und du willst die Höhle schon stürmen? Du ungeduldiger Narr wirst sie noch unnötig in Gefahr bringen!“ Linella legte ihren Kopf schief. „Seit wann liegt dir etwas an unserer körperlichen Unversehrtheit?“ Mit einem Ruck drehte sich Calimar in ihre Richtung. „Nur wenn ihr in einem ganzen Stück und nicht zu vergessen mit der Meerhexe hier herauskommt, werde ich auch ich eine Zukunft haben, in der ich frei sein kann!“ Linella und Finn schwiegen.

Dann zog die Meeresprinzessin den Fisch zu sich heran. „Warum ist eigentlich Lavanda nicht bei ihm in der Höhle?“ Calimar wand sich in ihren zarten Händen, die ihn fest umschlossen hielten. „Würdest du mich bitte erst loslassen!“ Linella gehorchte sofort und der Laternenfisch machte einen kleinen Salto rückwärts. Als sich nicht mehr alles um ihn drehte, funkelte er die Prinzessin böse an, antwortete aber: „Balsakus geht gerne auf Nummer sicher. Sie ist bei ihm – nur noch ein Stockwerk tiefer. Hinter einem Gitter, das er mit dem nun bösen Zauberring verschlossen hat und das sich auch nur mit dessen Zauberkraft wieder öffnen lässt. Ich wiederhole es also für euch gerne noch einmal: „Wir brauchen diesen Ring, um die Meerhexe zu befreien. Und das kann nur unsere rasende Retterin. Ihr solltet also etwas geduldiger sein.“

Linella wollte ihm gerade etwas Passendes erwidern, da rief Finn laut: „Da kommt Katrin! Und sie hat…“. Dann verstummte der Delfin, als er begriff: Katrin kam mit schnellen Flossenschlägen. Den Finger hatte sie warnend auf ihre Lippen gelegt, die andere Hand hielt sie hoch, damit die Anderen den Ring sehen konnten, der an der geflochtenen Seegraskette baumelte. Linella schwamm auf sie zu und nahm sie stürmisch in die Arme. Etwas atemlos vor Freude und Aufregung flüsterte sie: „Du bist wieder bei uns und du hast den Ring.“

Jetzt erst atmete Katrin erleichtert aus. Hatte sie bis jetzt die Luft angehalten? Linella schob sie leicht von sich weg. „Geht es dir gut?“ Die Meeresprinzessin betrachtete ihre Freundin von Kopf bis Fuß. Ihr Blick blieb an den großen roten Kreisen an Katrins Bauch und Hüfte hängen. Dort, wo die Saugnäpfe des Riesentintenfischs ihre Spuren hinterlassen hatten. „Er hatte mich schon in seinem Griff. Durch ein besonderes Lied habe ich ihn wieder in den Tiefschlaf versetzt und konnte so fliehen“, erklärte Katrin mit zitternder Stimme. Aus Linellas Augenwinkeln löste sich eine kleine Träne und rann ihr über die blasse Wange. Finn kam von der Seite angerauscht und umarmte seine Freundinnen ganz fest. „Hauptsache, wir sind zusammen und können jetzt wieder aufeinander aufpassen.“

Calimar stöhnte laut. „Können wir jetzt mal mit der Gefühlsduselei aufhören?! Wenn ihr Lavera nicht rechtzeitig befreit, war Katrins kleiner Ausflug völlig umsonst. Also reißt euch zusammen und folgt mir. Wir müssen tiefer in das Höhlenlabyrinth. Bis jetzt war es nur ein Spaziergang ins Blaue!“

Wieder folgten die Gefährten dem Licht des Laternenfischs durch dunkle Gänge. Immer tiefer ging es in den Fels hinein. Auch jetzt war es mit den vielen Abzweigungen für die Drei unmöglich, sich den Weg zu merken. Alle Gänge sahen zudem gleich aus – stets die scharfkantigen Wände, der glatte, glitschige Boden und der Geruch nach vermoderten Pflanzen und nassem Stein. Nur an manchen Stellen wurde es so eng, dass sie sich zwischen zwei Felswänden hindurchzwängen oder den Kopf wegen einer niedrigen Decke geduckt halten mussten. An Katrins Hals hing ein zusätzliches Gewicht, das sie je weiter sie kamen mehr und mehr nach unten zu ziehen schien: Laveras Ring. Er erschien ihr schon fast zu schwer – wie eine Last, die sie nicht mehr lange alleine tragen konnte. Linella sah, wie Katrin schwer atmete und ihre Hand um den magischen Gegenstand schloss. „Er spürt die Gegenwart seiner eigentlichen Herrin. Wir können also nicht mehr weit entfernt sein. Halte nur noch ein bisschen aus“, ermutigte sie ihre Freundin. Katrin nickte tapfer.

Nach einer Weile hörte sie ein leichtes Summen. „Was ist das?“, fragte das Mädchen Calimar. „Das sind die Gitterstäbe des Gefängnisses unserer Zauberin. Sie sind so stark mit dunkler Magie aufgeladen, dass sie leicht vibrieren.“ „Wir sind also angekommen“, bemerkte Linella, während sie vorsichtig um die nächste Ecke bog.

Sie mussten alle erst einmal die Augen zusammenkneifen. Nach der langen Dunkelheit, schmerzte das grelle Licht der Gitterstäbe in ihren Augen. „Wer ist da? Wenn das einer deiner schmutzigen Tricks ist Balsakus, falle ich ganz bestimmt nicht darauf herein!“,drang eine zarte aber bestimmte Stimme zu ihnen. Linella war die Erste, die ihre Augen wieder öffnete. Sie zwinkerte ein paar Mal heftig. Sie waren in einer kleinen Höhle. Sie passten gerade einmal so alle hinein. Aber der Raum schien schöner, als das die nackten, grauen Gänge draußen. Der Stein der Wände und der Decke war von einem zarten Rot durchzogen und glänzte, als wäre er poliert worden. Auch hier war alles in ein sanftes Blau getaucht. In der Ecke stand eine edle, weiße Kommode, auf der eine goldene Spieluhr stand. In ihr tanzte eine kleine Meerjungfrau um glitzernde Edelsteine zu einer leisen Musik.

Linella riss ihre Augen von dem anmutigen Tanz los und räusperte sich. „Ich bin Linella, Prinzessin von Aquana, Tochter von Adrianus dem Dritten. Das sind meine Freunde Finn, Katrin und….“ Sie deutete hinter sich. Der Laternenfisch ergänzte mit einem schiefen Grinsen: „Mich dürftet ihr kennen, meine liebreizende Zauberin. Calimar ist mein Name, falls er Euch entfallen sein sollte.“ „Wer seit ihr und was macht der Handlanger des Unholds bei euch?“, fragte Lavera mit spitzer Stimme.

Die Meerhexe saß, den Rücken gerade durchgestreckt, auf einem tiefgrünen Sessel. Die hellen Gitterstäbe ließen ihre Gesichtszüge scharfkantig aussehen. Das lange, schwarze Haar fiel ihr in weichen Locken über die Schultern. Die Stirn umspann ein schmaler, silberner Reif, in dessen Mitte ein tropfenförmiger Diamant glitzerte. Sie wollte ruhig und gefasst nach außen wirken, doch ihr violetter Fischschwanz peitschte nervös auf dem Boden. Wie lange sie hier unten wohl schon gefangen war und auf jemanden gehofft hatte, der sie befreien würde, fragte sich Katrin.

Nach einer kurzen Stille, antwortete Linella auf Laveras Frage: „Calimar brauchten wir, um, Balsakus` Versteck und damit auch Euch zu finden. Wir haben den Ring und können Euch endlich aus diesem Gefängnis befreien“, versprach Linella.

Die aquamarinblauen Augen der Zauberin wurden groß. „Meinen Ring? Zeigt ihn mir!“ Katrin schwamm nach vorne und nahm die Kette ab. Lavera nickte bestimmt. „Also gut. Aber so einfach, wie ihr euch das denkt, ist das nicht. Der Ring muss von der Dunkelheit des Riesentintenfischs befreit werden. Mindestens zwei reine Seelen müssen stark genug sein, um gemeinsam das Hohelied des Meeres zu singen: das älteste und kraftvollste Lied vom Anbeginn der Zeit. Dabei darf keine Magie angewendet werden. Es muss aus deren tiefstem Inneren kommen und zu etwas Wahrem gemacht werden. Traut ihr euch das zu?“ Fragend schaute sie Linella und Katrin an.

Beide nickten, doch in ihrem Geist schüttelten sie heftig die Köpfe. Katrin erinnerte sich an die ersten Begegnungen mit Finn und Linella. Schon zu diesem Zeitpunkt, hätte sie der Prinzessin von Aquana und Finn die Wahrheit sagen müssen. Aber nein. Sie war feige gewesen und hatte gelogen. Ihre reine Seele hatte ganz bestimmt ein paar ordentliche Dreckspritzer abbekommen. Aber hätte sie die Wahrheit gesagt, hätten sie niemals erfahren, dass Lavera ihre Hilfe brauchte. Vielleicht klappte es ja doch mit dem Singen…? Auch Linella hatte mit sich zu kämpfen. Die Meerjungfrau zweifelte immer noch stark an sich. Dies war das erste Mal, dass sie ohne ihre geliebte Magische Muschelhaarspange sang. Ihre Stimme würde bestimmt ganz schrecklich klingen. Wie konnten sie Lavera mit so einem schlechten Gesang befreien? Sie wollte es aber trotzdem versuchen. Linella fühlte sich als Prinzessin von Aquana für die Meerhexe verantwortlich.

Katrin nahm die Magische Muschelhaarspange aus ihren Strähnen und legte sie behutsam in Laveras ausgestreckte Hand. Die Mädchen taten einen tiefen Seufzer und wandten sich einander zu. Sie fassten sich an den Händen. Lavera sprach ihnen die Textzeilen vor, die sie gemeinsam in einem Singsang wiederholen sollten.

Katrin schloss die Augen. Da war sie ja wieder: ihre alte, schiefe Stimme…So fühlte einen kleinen Kloß im Hals, aber auf den konnte sie gar nicht so richtig achten. Die liebliche und zugleich kräftige Stimme von Linella hallte von den Höhlenwänden wider. So wunderschön, dass die Welt für einen Augenblick stillzustehen schien. Katrin merkte nicht mehr, wie die Worte ihre Lippen verließen. Der Klang von Linellas Stimme erfüllte sie ganz und gar. Erst, als der letzte Ton gesungen war, prallte das Hier und Jetzt mit der erdrückenden Höhle, der Kälte und der gefangenen Lavera wieder auf sie ein.

Ihr Gesang hatte nichts bewirkt. „Lavera ist ja immer noch hinter Gittern!“, rief Finn erschrocken. „Und dafür habe ich meine kostbare Zeit hergegeben“, sagte Calimar enttäuscht. Die Meerhexe ließ sich erschöpft und verzweifelt auf den Sessel sinken. „Das war unserer einzige Chance. Balsakus wird das Lied gehört haben und schon auf dem Weg nach unten sein. Flieht! Bringt euch in Sicherheit, solange seine Tentakel noch nicht nach euch greifen. Mich braucht er noch und wird mir schon nichts tun.“

Wie zur Antwort hörten sie ein schreckliches Gebrüll. Der Riesentintenfisch war erwacht und hatte bemerkt, dass man ihm den Ring gestohlen hatte. Die Wände erbebten, als er sich in Bewegung setzte. Lavera sprang auf. „Flieht! Rettet euch!“

Kapitel 8

Katrin begann am ganzen Körper zu zittern. Die Tränen schossen ihr in die Augen. Alles ging wegen ihr schief! Wegen ihrer Lügen! „Ich habe euch betrogen“, platzte es aus ihr heraus. Ihr tränenverschleierter Blick heftete sich auf Linella und Finn. „Ich bin ein ganz gewöhnlicher Mensch. Ein Niemand, ohne besondere Fähigkeiten. Die Muschel habe ich am Strand gefunden und wollte sie für mich behalten. Der Wunsch an den Aquastern hat mich zu euch geführt. Ich hätte die Möglichkeit gehabt, dir, Linella, deine Muschelhaarspange wiederzugeben, doch ich wollte nicht wieder in meine Schatten zurück. Einmal Jemand sein, einmal bewundert und beachtet werden. Ich war egoistisch und habe euch ins Verderben geschickt!“

Linella und Finn sahen sie mit großen Augen an. Katrins Herz hämmerte so sehr in ihrer Brust, dass sie meinte, es müsse gleich herausspringen. In den Gängen über ihnen war die wütende Stimme von Balsakus zu hören. „Wo bist du, kleiner Dieb?! Ich werde dich finden! Aus dieser Höhle wirst du nie wieder heraus kommen!“ Katrin zuckte zusammen, doch Linella und Finn schienen diese Drohung überhaupt nicht gehört zu haben. Sie wandten ihren Blick nicht von Katrin ab.

Das Mädchen schluckte schwer. „Ich werde Balsakus entgegen schwimmen und mich als die Diebin stellen, die ich ja auch wirklich bin…“ Da blinzelte Linella heftig. „Das wirst du nicht, denn wir sind Freunde und die lässt man nicht im Stich.“ Mit zwei kräftigen Flossenschlägen war sie bei ihr und nahm sie fest in die Arme. Finn kam an ihre Seite und legte den Meerjungfrauen schützend seine Flossen auf die Schultern. Katrin fühlte, wie sich in ihrem Körper eine wohlige Wärme ausbreitete, die direkt aus ihrem Herzen kam. Sie flüsterte: „Es tut mir schrecklich leid. Ich werde euch nie wieder anlügen.“

Plötzlich erhellte ein gleißendes Licht den Raum. Aus Strahlen und Wasser formte sich das Wesen des Aquasterns: erst ein Panzer, dann zwei zu Paddeln geformten Arme, der lange, faltige Hals und das mit dunklen Vierecken gezeichnete Gesicht. In dem glänzten zwei gutmütige Augen. „Du hast also zu dir selbst gefunden und dein wahres Ich gezeigt“, sagte die uralte Wasserschildkröte. Katrin fielen wieder die Worte ein, die sie ihr einst mit auf den Weg gegeben hatte: „Sei einfach du selbst, dann wird sich alles fügen“, murmelte sie vor sich hin. Die Wasserschildkröte nickte langsam.

Das Poltern und Tosen des Riesentintenfischs war nun ganz nah. „Ich höre dein zartes Stimmchen, Diebin. Bald wird es verstummen!“ „Können wir die Suche nach unserem Selbst bitte jetzt beenden, bevor es uns nicht mehr gibt? Sehen wir ein, dass es nicht geklappt hat und verduften von hier!“, sagte Calimar mit vor Panik quietischiger Stimme. Linella schoss dem Laternenfisch einen giftigen Blick zu, Katrin beachtete ihn gar nicht. Hilfesuchend schaute sie die Wasserschildkröte an. „Kannst du nicht irgendetwas tun?“ Wieder nickte das Wassertier. „Deswegen bin ich hier. Du hast deinen Teil der Aufgabe erfüllt, jetzt werde ich dir zur Seite stehen.

Lass mich bitte mal den Ring sehen, Mädchen.“ Katrin hielt ihr den Ring auf der ausgestreckten, flachen Hand hin. Die Schildkröte berührte ihn leicht mit der Stirn und summte dabei das Lied, was Linella und Katrin eben angestimmt hatten. Über ihren Köpfen erschien ein hell leuchtender Stern. In dessen Licht wurden die von der Aquaschildkröte gesungenen Töne in den Farben des Regenbogens sichtbar. Sie schienen nicht von dieser Welt zu sein, tanzten durch den Raum, ehe sie sanft auf dem Ring landeten. Die Melodie klang wie von einem und von vielen gesungen, laut und leise, verzerrt und lieblich zugleich.

Diesmal aber, tat das Lied seine Wirkung. Die schwarze Farbe tropfte wie Tinte vom Ring hinab und löste sich mit einem Zischen auf dem felsigen Boden auf. Als Katrin ihn Lavera wieder zurück gab, war er glänzend weiß wie Perlmutt. Schnell steckte sich die Meereszauberin ihn an ihren Finger, denn Balsakus stinkender Atem war schon zu riechen. Lavera stellte sich vor die Gitter, die sie so lange von der Außenwelt getrennt hatten und beschrieb mit dem rechten Zeigefinger einen Kreis. Dann drückte sie die flache Hand dagegen und schwamm durch die entstandene Öffnung. Sie war frei! Für große Freude war jedoch keine Zeit, denn nun hatte der schreckliche Riesentintenfisch die Höhle erreicht.

Seine langen, roten Tentakel schoben sich zuerst hinein und begannen schon nach ihnen zu tasten. Katrin, Finn, Linella und Calimar drängten sich eng an die Felswand, um nicht in seine Fänge zu geraten. Die Aquaschildkröte und Lavera standen wie ein Schutzschild vor ihnen. Jetzt tauchte auch sein langgezogener Kopf hinter der Ecke auf. Die riesigen Augen bewegten sich schnell hin und her, um so viel wie möglich zu erfassen. Sie wurden noch etwas größer, als sie die nun befreite Lavera entdeckten. Balsakus erstarrte kurz, dann hatte er sich wieder unter Kontrolle. Er zog die restlichen Krakenarme heran, sodass er sich ihnen mit seiner ganzen schrecklichen Pracht präsentieren konnte. Seine Augen waren unbeirrt auf Laveras Gestalt gerichtet. Der Riesentintenfisch sprach mit honigsüßer Stimme: „Genieße nur deinen Ausflug in die Freiheit, denn er wird nicht lange dauern!“ Jetzt fiel sein Blick auf Katrin und ihre Freunde. „Wie ich sehe, hast du mir noch mehr Gäste mitgebracht. Auch sie werden es in meinem trauten Heim sehr gemütlich haben. Das verspreche ich dir.“

„Du wirst deine klebrigen Tentakel von ihnen lassen!“, spie ihm die Meerhexe entgegen. Balsakus brummendes Lachen grollte durch die Höhle. „Wer wird denn da gleich so grantig werden? Deine Singstimme gefällt mir eindeutig besser. Sei also eine liebe Meerhexe und gib mir den Ring zurück“, forderte er sie gefährlich ruhig auf. Lavera schüttelte bestimmt den Kopf. „Dann lässt du mir keine andere Wahl“, kündigte Balsakus drohend an. Blitzschnell fuhr einer seiner Tentakel nach vorne, an Lavera vorbei und schlang sich um die Hüfte der Prinzessin von Aquana.

Katrin durchfuhr ein schrecklicher Schrecken. Sie legte all ihre Kraft in einen Wunsch an den Aquastern: „Bitte rette sie! Rette meine Freundin!“ Das bisher nur noch schwach glimmende Licht der Aquaschildkröte gewann wieder an Stärke. Leuchtete so hell, dass auch Balsakus die Augen schließen musste. Das war die Chance für die Magie der Meerhexe. Laut schrie sie einen Zauberspruch heraus, die Hand mit dem weiß schimmernden Ring hatte sie auf Balsakus`s Stirn gerichtet. Der keuchte auf und musste Linella wieder loslassen.

Laveras Gesicht war schon von Anstrengung verzerrt, trotzdem ließ sie ihre Hand nicht sinken. „Flieht jetzt, solange ich ihn noch im Griff habe! Ich werde euch folgen.“ Die Gefährten zögerten, doch sie wussten, dass es keinen anderen Ausweg mehr gab. Die Aquaschildkröte nahm ihnen schließlich die Entscheidung ab. Sie schob die Gefährten auf ihren Rücken, schwamm dreimal im Kreis und die Höhle löste sich in einem Wasserstrudel vor ihnen auf.

Kapitel 9

Als die Umgebung nicht mehr herumwirbelte, erkannten sie, wo sie waren: „Wir sind wieder am Rand der Felsspalte“, sagte Finn fast tonlos. Katrin schluckte schwer. „Und Lavera ist immer noch da unten.“ Linella sank ganz langsam zu Boden. „Wir haben sie im Stich gelassen. Alles war umsonst.“ „Nicht ganz“, wandte Calimar ein. „Ihr habt immerhin mich aus seinen schrecklichen Fängen befreit.“ Finn schaute ihn kurz an. „Und das werden wir bestimmt bald bereuen.“

Sie konnten sich einfach nicht von der Felsspalte wegbewegen. Wie gebannt starrten sie in das Dunkle und hofften, dass die Meerhexe zu ihnen empor schwimmen würde. Aber nichts. Da war nichts außer Stille und dieser schrecklichen Schwärze. Katrin fühlte sich so hilflos wie noch nie. Plötzlich hob Linella den Kopf. „Hört ihr das auch?!“ Katrin versuchte sich zu konzentrieren. Ja, da war etwas. Eine leise Melodie. Dasselbe Lied, was sie schon einmal vor der Höhle von Balsakus gehört hatten. „Sie will ihn zum Einschlafen bringen!“, rief Katrin. Linella schöpfte wieder Hoffnung Doch neben der Melodie war auch die schreckliche Stimme des Riesentintenfisches zu hören: „Das ist ein bisschen zu zaghaft meine Liebe. Du hast wohl keine Puste mehr?“

Linella wirbelte zu der Aquaschildkröte herum. „Er hält sie bestimmt fest! Bring mich bis vor den Höhleneingang. Dort werde ich Lavera mit meiner Stimme unterstützen. Bitte, ich muss ihr helfen.“ Die Aquaschildkröte schaute Katrin an. „Ich bin an den Wunschgeber gebunden. Ich darf nur seinen Wünschen gehorchen. Katrin schwamm schnell neben ihre Freundin. „Dann komme ich selbstverständlich mit. Aquaschildkröte, bring uns bitte vor den Eingang der Höhle des Riesentintenfischs Balsakus!“ Diese nickte, nahm die Freundinnen wieder auf ihren Panzer und ließ das Wasser um sie herum tanzen.

Sie waren wieder in den tiefsten Tiefen des Meeres. Aus der Höhle hörten sie das siegessichere Lachen des Ungeheuers. „Wäret ihr nun so freundlich, liebreizende Lavera, und überreicht mir den Ring.“ Als Antwort bekam er nur den Gesang der Meerhexe zu hören. Leise, keuchend, aber unablässig. Linella lauschte, schloss ihre Augen und stimmte in das Lied mit ein. Ihre Stimme drang durch dunkles Wasser und Stein, bahnte sich ihren Weg zu Balsakus und Lavera. Die betörenden Töne waren hypnotisierend. Auch Katrin musste sich anstrengen, damit sie bei Bewusstsein blieb und nicht in das Land der Träume trieb.

Balsakus wollte wieder auflachen und eine hämische Bemerkung machen, doch er konnte sich dem Lied nicht entziehen. Seine Augenlider begannen zu flattern, seine Gliedmaßen wurden schwer. Der Greifarm, welcher Laveras Brust umschlungen hatte, sackte zu Boden. Schnell befreite sich die Meerhexe und konnte so mit kräftigerer Stimme singen. Jetzt schwoll die Musik von Linella und Lavera zu einem mächtigen Duett an. Balsakus hatte keine Chance. Er schlief ein.

Lavera verlor keine Zeit und schwamm zurück zu Linella und Katrin. Die Meerjungfrauen griffen nach ihrer Hand und zogen sie zu sich auf den Panzer der Wasserschildkröte. Katrin strich dem Aquatier leicht über den Kopf. „Bring uns in die Freiheit“, flüsterte sie und in einen hellblauen Wasserstrudel gehüllt, ließen sie die Dunkelheit für immer hinter sich.

Kapitel 10

Nachdem sie Finn versichert hatten, dass sie unversehrt waren und Calimar sich riesig gefreut hatte, dass der alte Balsakus nun allein mit seinen dunklen Schatten in der Tiefe hockte, wandte sich Lavera an die beiden Mädchen. „Linella, um mich zu befreien, hast du dich deiner größten Angst gestellt: Du hast für mich gesungen, ohne dich darum zu kümmern, ob es anderen gefallen könnte oder nicht. Und was für eine schöne Stimme du hast! Du brauchst die magische Zaubermuschel überhaupt nicht. Du allein, deine Stimme genügt, um die Zuhörer zu bezaubern.“ Bei diesen Worten errötete Linella leicht. Aber sie fühlte sich ganz leicht, als sei eine riesige Last von ihr abgefallen.

Mit einem etwas strengerem Blick betrachtete die Meerhexe nun Katrin. „Du dachtest mit dieser Muschelhaarspange zu etwas Besonderem geworden zu sein, hast dafür deine Freunde belogen. Doch bei meiner Rettung hast du ihnen selbstlos zur Seite gestanden.“ Nun schaute Lavera beide Mädchen an: „Nach diesem Abenteuer ist euch doch hoffentlich bewusst geworden, dass all diese Äußerlichkeiten und die Bewunderung von Anderen euch nicht ausmachen, sondern allein eure Taten, euer Mut und euer Zusammenhalt. Ihr seid schön und stark, auch ganz ohne magische Hilfsmittel. Vergesst das nie.“ Katrin und Linella nickten mit strahlenden Gesichtern.

„Nun muss ich aber aufbrechen. Ich bin schon viel zu lange von zu Hause weg“, sagte die Meerhexe und verbeugte sich vor den Gefährten. „Ich danke euch von tiefstem Herzen für meine Rettung. Ich bin euch auf ewig dankbar. Solltet ihr jäh meine Hilfe benötigen, schließt einfach nur die Augen und denkt ganz fest an mich.“ Und mit einem kräftigen Flossenschlag verschwand sie in die unendliche Weite des Meeres. Die Freunde wurden während sie ihr nachsahen ganz still. Die Ereignisse der letzten Stunden wirbelten noch in ihren Köpfen herum und mussten erst einmal beruhigt und geordnet werden. Da unterbrach Calimar die Stille: „Können wir jetzt endlich zum Königsschloss aufbrechen? Ich kann es kaum erwarten, mein luxuriöses Leben als Retter der Prinzessin zu beginnen!“ „Wer hat hier wen gerettet? Linella braucht die Muschelhaarspange doch gar nicht mehr. Dich haben wir aus der Knechtschaft des Riesentintenfischs befreit!“, gab Finn zu bedenken. „Ach papperlapapp. Wortklauberei. Ich hab Linella gerettet, Katrin hat mich und Lavera gerettet, wir haben uns gerettet…“

Linella schnaubte. Doch Calimars freches Mundwerk konnte ihre Freude auf Zuhause nicht trüben. „Das große Aquafest wird in diesem Jahr etwas ganz Besonderes sein“, sagte sie mit einem Glänzen in den Augen. „Besonders, weil du mit dabei bist, meine liebe Katrin. Du wirst staunen, wie wir Meeresbewohner feiern können“, kicherte sie. Katrin entfuhr ein kleiner Seufzer. Tief in ihrem Inneren spürte sie, wie sie wieder etwas an die Wasseroberfläche zog. „Ich muss wieder nach Hause, in die Menschenwelt. So schön es bei euch auch sein mag, irgendwann hat auch mal der schillerndste Wunschtraum ein Ende. Ist es nicht so?“ Fragend schaute sie die Aquaschildkröte an. „Einen Wunsch kann ich dir noch gewähren“, sagte diese mit einem milden Lächeln.

Katrins Herz schlug schneller vor Aufregung. „Dann wünsche ich mir, bei dem großen Aquafest dabei sein zu können. Ich möchte so viele tolle Erinnerungen wie möglich sammeln, damit ich noch lange in meinen Träumen zu den wunderschönen Liedern von Aquana tanzen kann.

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