Nix los in Wald und Moos
„Uahhhh!“, mit einem lauten Gähnen kratzte sich Zipfelöhrchen an seinem dicken Bauch. „Mir ist so laaaaangweilig!“, beschwerte sich der Trolljunge bei seinem Bruder Zottelfell. Der lag faul neben ihm unter einem Himbeerstrauch. Zottelfell öffnete ein Auge und rutschte schnell ein Stück zur Seite. „Igitt! Aus deinem Mund riecht es ja fürchterlich! Was ist denn auf deinem Frühstücksbrett rumgekrabbelt?“,fragte er und hielt sich die Knubbelnase zu.
„Hä? Ich nehme nur die ausgewähltesten Speisen zu mir! Beweg doch mal deinen kleinen pelzigen Hintern! Dann zeige ich dir vielleicht auch die Lichtung, auf der ich heute Morgen die leckeren Stinkmorcheln gefunden habe. Riechen wie alte Wollsocken, schmecken aber nach herrlich schlotzigem Schneckenschleim.“ „Nö. Keine Lust. Ist auch bestimmt zu weit. Ich bewege mich heute nicht vom Fleck. Wenn dir so langweilig ist, kannst du mir ja noch ein paar Himbeeren pflücken – die waren köstlich“, schmatzte Zottelfell und schleckte sich noch einen letzten Tropfen des leckeren rosafarbenen Safts von seiner Pfote. „Das könnte dir so passen!“, raunzte Zipfelöhrchen ihn an.
Seit Wochen war ihnen schon kein richtig guter Schabernack mehr eingefallen. Und langsam machte dem Trolljungen das sonst so geliebte Faulenzen auch keinen Spaß mehr. „Wir könnten auf dem Weg dorthin ja Nüsse vor Eichhörnchen verstecken“, versuchte Zipfelöhrchen seinen Bruder zu locken. Zottelfell winkte nur lässig mit seiner Pfote. „Das machen die doch schon selbst.“ Tiefe Denkfalten bildeten sich auf Zipfelöhrchens Stirn. Dann knuffte er seinen Bruder begeistert in die Seite. „Oder wir kitzeln die Frösche ein bisschen an ihren Füßen. Die kichern dann immer so lustig.“ Auch die Idee fand Zottelfell überhaupt nicht gut. „Jaaa, und springen dann mit einem riesigen „Platsch“ ins spritzende Wasser und machen mich ganz nass! Nein. Ich bleibe lieber hier unter meinem Lieblingsstrauch und passe auf, dass die Himbeeren nicht geklaut werden“, brummte er und kuschelte sich wieder in das Gras.
Jetzt wurde Zipfelöhrchen langsam stinkig. „Dann gehe ich eben zu Paul und Friedrich. Die haben ganz bestimmt Lust, mit mir ein neues Abenteuer zu erleben!“, sagte er trotzig und marschierte in Richtung Waldrand. Da wohnte Paul nämlich. In einem alten Bauernhaus, versteckt hinter zwei hohen Tannen.
Post auf wilden Wellen
Zipfelöhrchen und Zottelfell hatten sich immer von den lauten, unhöflichen Menschen fern gehalten, doch nachdem Paul und sein Freund Friedrich ihnen geholfen hatten, ihre Tarnkappe wiederzubekommen, hatten sie ihre Meinung geändert. Die zwei Jungs waren gar nicht so übel und hatten wie die Trolle eine Menge Flausen im Kopf.
Darum verbesserte sich auch Zipfelöhrchens Laune, als er die zwei Tannenspitzen in der Ferne sah. Ein blubberndes Gefühl der Vorfreude stieg in seinem Bauch auf, das sich aber gleich in ein Tosen verwandelte: „Och nöööö! Spinnenpups und Käferrülps, nochmal!“ Er war mit seinem linken Fuß im kühlen Nass eines Baches gelandet, und hatte vor Schreck das Gleichgewicht verloren. Nun saß der arme Tropf mit seinem Po in den Fluten und schimpfte wie ein Rohrspatz. „Das mir so etwas immer passieren muss! Was fließt der doofe Bach auch genau hier lang?!“
Wütend wirbelte er die Wasseroberfläche mit seinen Pfoten auf. Die Bewegungen der kleinen Wellen brachte etwas zum glitzern, das Zipfelöhrchen nun ins Auge fiel: eine Flasche, in der etwas drinsteckte. Schnell schnappte sich der Trolljunge das wild hin und her schaukelnde Ding. Mit tropfender Hose setzte er sich ans Ufer, um es genauer betrachten zu können. In der mit einem Korken verschlossenen Flasche steckte ein Papierstück. Das musste doch endlich mal was Aufregendes sein! Mit seinen spitzen Zähnen, versuchte Zipfelöhrchen sogleich den Korken herauszubekommen.
„Boah! Du hast ja eine Flaschenpost gefunden!“ Zipfelöhrchen zuckte zusammen. Er war so konzentriert beschäftigt gewesen, dass er Paul und Friedrich gar nicht hatte kommen hören. Friedrich nahm dem verdutzten Troll die Flasche aus den Pfoten. „Das Dokument darin sieht ja richtig alt aus. Bestimmt ist es eine Schatzkarte!“ Paul riss aufgeregt die Augen auf, nahm die dank Zipfelöhrchens Bemühungen nun offene Flasche an sich, und schüttelte sie heftig, um das vergilbte Papier herauszubekommen. „Sei ja vorsichtig! Sonst zerfällt sie noch!“, ermahnte ihn Friedrich.
Nun war es Zipfelöhrchen, der erbost Paul die Flasche wieder aus den Händen nahm. „Wenn überhaupt, schaue ich mir diese Post zuerst an. Ich habe sie schließlich auch gefunden. Was fällt euch außerdem ein, mich einfach von hinten zu überfallen?!“
„Entschuldige Zipfelöhrchen. Aber es ist so aufregend!“ Zipfelöhrchen grummelte, rollte aber die Karte auf. Schnell flogen seine Katzenaugen darüber. „Was ist das für ein Gekrickel?!“ Friedrich rückte seine Brille zurecht. „Das ist wirklich eine sehr unleserliche Handschrift.“ Paul wandte ein: „Die ist bestimmt von einem Banditen! Er hat das mit einer Pistole in der Hand bei Kerzenschein in seinem geheimen Versteck geschrieben! Kann man denn gar nichts entziffern?“ Zottelfell reichte Friedrich kopfschüttelnd das Schriftstück. „Lies du!“ Friedrich begann langsam:
Hey, du neugierige Schnüffelnase!
Du hast also meine Karte gefunden. Wollen doch mal sehen, ob du auch den Schatz bekommst!
Der wird nämlich von einem sehr gefährlichen Riesen bewacht. Mit seinen Pranken kann er mühelos Bäume ausreißen und benutzt sie dann als Zahnstocher für seine spitzen Beißerchen. Zwischen die hat er allerdings schon seeehr lange nichts Ordentliches mehr bekommen.
Bringst du ihm Leckereien aus dem Wald, wir er dich zur Schatzkammer durchlassen. Wie du zu meinem netten Freund gelangst, und welche Köstlichkeiten das sind, habe ich unten fein säuberlich aufgezeichnet. Also streng dich gefälligst an, wenn du nicht gefressen werden willst!
Viel Spaß du Mimose!
Eins noch:
HAHAHAHAHAHA Das schaffst du nie!
Dein liebreizender Räuber Zottelbart
Hinweis Nummer 1: Ein edler Kappenträger
„Ich hatte Recht! Es ist eine echte Räuberschatzkarte!“, freute sich Paul. „Könnten wir nicht etwas Harmloseres machen?“, wandte Friedrich zögernd ein. „Nix da! Endlich passiert hier mal was! Zeig den ersten Hinweis!“, gab ihm Zipfelöhrchen schnell zur Antwort.
Das erste Leckerschmecker trägt eine goldene Kappe und wächst unter dem trällernden Baum.
„Och, das fängt ja schon gut an. Ich habe keinen blassen Schimmer“, motzte Paul gleich. „Ich kenne nur etwas mit einem schwarzen Käppchen. Das ist die Hagebutte“, warf sein Freund ein. „Nun seid doch mal still! Ich muss nachdenken, schließlich bin ich hier der Waldexperte“, unterbrach sie Zipfelöhrchen. Der Trolljunge begann, leise vor sich hinzusummen und wippte dabei mit dem rechten Fuß auf und ab. „Natürlich!“, fiel es da Friedrich ein. „Der Baum muss eine Lärche sein! Sie wird bis auf das „ä“ genauso geschrieben wie der Singvogel: die Lerche!“ Zipfelöhrchen grummelte: „Das hätte ich auch gleich noch gesagt! Kommt schon, ich weiß, wo ein paar von ihnen hier im Wald stehen“, trieb der kleine Troll sie an.
Kerzengerade und hübsch anzusehen, in ihrem grünen Nadelkleid, ragten die vier Lärchen in den blauen Himmel. Für ihre Schönheit hatten die Schatzsucher jedoch keinen Blick. Sie wollten so schnell wie möglich das erste Mitbringsel für den Riesen finden und suchten daher mit flinken Augen den Boden ab, schauten immer wieder hinauf in die Äste. „Was suchen wir eigentlich genau: einen Vogel, eine Pflanze?“, wollte Paul nach einer ganzen Weile wissen.
Zipfelöhrchen kam stolz hinter einem Stamm hervor. „Keines von beiden. Schaut, was meine wunderbare Nase erschnüffelt hat!“ In seiner weit ausgestreckten Pfote hielt er einen Pilz. „Seht ihr diese wunderbar schleimige Kappe, wie golden sie in der Sonne glänzt? Na wenn das nicht mal ein richtiger Schnapper ist! Und er riiiiecht….“ Der Trolljunge hielt seine dicke Knollnase daran und schnüffelte geräuschvoll. Dann biss er mit einem großen Happs hinein. „Stopp!“, rief Friedrich. „Was, wenn der giftig ist?!“. „Papperlapapp!“, schmatzte Zipfelöhrchen. „Was ist der zweite Hinweis?“
Hinweis Nummer 2: Ein erdiger Knabbersnack
Das schmackhafteste Knabberzeug gibt es unter der Erde. Deine Hände musst du dir allerdings dafür nicht dreckig machen: Frag doch einfach Freund Wühlschnauze – wenn du dich traust…
Die drei Freunde schauten mit erschrockenem Blick auf die Karte. Von dem Papier starrte sie ein Borstentier aus kleinen schwarzen Augen böse an. Friedrich fand als erster die Sprache wieder: „Der verrückte Fiesling will, dass wir es mit einem Wildschwein aufnehmen? Ich sag nur: lange Hauer, spitze Hufe und ein wahnsinns Speed!“ Zipfelöhrchen schüttelte über diese Warnung nur verächtlich den Kopf. „Mich kann nichts und niemand erschrecken. Ich habe es schon mit ganz anderen wilden Tieren aufgenommen wie, wie…. dem fiesen Kläffer vom Herrn Huber!“
Paul und Friedrich mussten schmunzeln. Das kleine weiße Fellknäuel konnte zwar bellen wie ein ganz Großer, aber einem allenfalls mit seinen Zähnchen frech in die Waden zwicken. „Na dann wirst du unser Beschützer sein. Wo finden wir denn die Wildschweine?“, wollte Paul wissen. „Hundert Fuß von hier befindet sich eine Schlammgrube, in der sich die Borstis jetzt, am Vormittag, besonders gerne suhlen.“
Hinter zwei Büschen versteckt, schauten die Schatzsucher einer Rotte Wildschweinen bei ihrem ausgiebigem Schlammbad zu. Beherzt schmissen sich die Tiere in die Matschepampe, sodass es spritzte, und grunzten dabei gut gelaunt. Plötzlich hielt das Größte und Dickste von ihnen inne, und wackelte aufgeregt mit seiner erhobenen Schnauze. Es konnte sie riechen….
„Kommt sofort raus, sonst jage ich euch mit meinen Hauern aus eurem Versteck!“, brüllte es. Zipfelöhrchen krabbelte hervor und zog Paul und Friedrich hinter sich her. Der Trolljunge räusperte sich, und sprach mit honigsüßer Stimme: „Wir bewundern nur eure anmutigen Bewegungen beim edlen Schlammbaden. Überhaupt, finden wir Wildschweine sehr beeindruckend. Mit euren starken Hauern könnt ihr bestimmt ganze Erdberge versetzen. Dabei stoßt ihr vielleicht auch auf das ein oder andere schmackhafte Würzelchen. Du könntest uns das nicht einmal vorführen?“
Der Keiler hatte sich stolz aufgerichtet. Klebriger Schlamm tropfte dabei von seinem borstigen Fell auf den Waldboden. „Natürlich könnte ich das. Aber für dich stinkenden Troll und die zwei Naseweise da, werde ich mich ganz bestimmt nicht dreckig machen!“
Langsam wurden Paul und Friedrich unruhig. Sie hörten nämlich nur „Grunnzzzzz, quieck, quieck, grrrr“, und verstanden daher gar nichts. „Was sagt er?“, fragte Paul. Zipfelöhrchen war leicht angesäuert und zog seine Augenbrauen zusammen. „Das werte Wildschwein will sich für uns nicht dreckig machen!“ „Aber es ist doch schon dreckig!“, wandte Friedrich ein. „Oha, wir haben einen Blitzmerker in unserer Runde!“, bemerkte Zipfelöhrchen bissig. Paul kicherte.
Während sie sprachen umkreiste der Keiler Zipfelöhrchen mit bedrohlicher Miene. Dann stupste er mit seiner Schnauze gegen die Tasche des Trolljungen. „Was hast du da drin?“, grunzte er. „Das sind nur Pil….“ Zipfelöhrchen riss die Augen auf, denn ihm war gerade eine prima Idee gekommen. „In meiner Tasche befinden sich die leckersten Pilze, die du jemals gegessen hast. Zu deinem Pech, haben wir die letzten für dieses Jahr gesammelt. Du bekommst aber einen oder zwei, wenn du für uns ein paar Wurzeln ausgräbst.“
Das Wildschwein grunzte ärgerlich. Zu gerne hätte es diese Störenfriede hier stehen lassen und wäre wieder in seine Schlammgrube spaziert, aber diese Pilze rochen so unfassbar gut! „Na schön“, sagte es besonders grantig. „Dann aber schnell!“ Verdutzt schauten Paul und Friedrich auf Zipfelöhrchen, der sich beeilte, dem mit der Schnauze auf dem Boden vorantrippelnden Keiler zu folgen.
Nicht lange und das Borstentier hielt inne, um wie wild zu graben. Mit seinen Hauern beförderte es nur wenig später schmutzige, braune Stränge an das Tageslicht. „Und jetzt Pilze her!“, befahl es.
Zipfelöhrchen schnalzte mit der Zunge. „Ich will erst einmal eine kleine Kostprobe…“, sagte er und schnappte sich eine der Wurzeln, auf der er dann genüsslich herumkaute. „Mmmpf, mmpf. Etwas scharf im Abgang, aber fürs Erste nicht schlecht. Such doch bitte noch ein bisschen weiter.“ Das Wildschwein wurde langsam unruhig, setzte aber seine Schnauze wieder auf den Boden. Paul tippte dem weiter mit geschlossenen Augen genießendem Troll auf die Schulter. „Ich bin kein Tierexperte, aber ich glaube, mit dem netten Schweinchen da ist gleich nicht mehr gut Kirschen essen.“ Zipfelöhrchen schnaubte leise. Nach der nächsten Ladung Wurzeln, warf er dem Borstentier zwei kleine Pilze vor die Hufe. Ruckzuck waren die auch schon in dessem Bauch verschwunden. Es grunzte, drehte den Gefährten seinen Po mit hoch erhobenem Schwanz zu, und trottete davon.
Zipfelöhrchen steckte sich etwas von den Wurzeln in seine Tasche und kaute weiter auf einem angebissenem Stück herum. „Sollten wir das nicht für den Riesen lassen?“, fragte Friedrich den gefräßigen Trolljungen. „Was?! Das ist Proviant. Den brauche ich, um mich für die weiteren Aufgaben zu stärken. Der olle Tollpatsch bekommt schon noch genug! Also, den dritten Hinweis, wenn ich bitten darf.“
Hinweis Nummer 3: Das Gold des Waldes
Unter dem schützenden grünen Dach des ältesten Waldbewohners, wachen kleine Summer über flüssiges Gold. Aber Achtung! Die Wächterinnen wissen sich mit einem spitzen Stachel zu wehren…
„Da brauche ich nicht lange zu überlegen: Er meint die alte Buche, im Norden des Waldes. Dort hat sich ein Bienenvolk niedergelassen. Zottelfell und ich haben ihm schon den einen oder anderen Besuch abgestattet. Wir sollen ihnen nun wohl etwas von ihrem Honig mopsen“, erklärte der Trolljunge. „Es ist nicht weit von hier. Nur über fünf Hügel, dann sind wir da. Also, husch, husch!“
Der Weg erschien den beiden Jungs ewig lang. Sie ließen immer gleich aussehende Bäume, umgestürzte Stämme und schroffe Felswände hinter sich. Die Schatzsucher wechselten kaum ein Wort. Aber Paul beobachtete, wie Zipfelöhrchens Pfote des öfteren schnell in seiner Tasche verschwand und dann in seinem Mund landete….
Endlich betraten sie eine Lichtung und der Troll verkündete laut: „Wir sind da. Hier steht der älteste Bewohner des Waldes!“ Aber das hätte er gar nicht sagen brauchen: Pauls und Friedrichs Augen wanderten von der ausladenden Krone der mehreren hundert Jahre alten Buche über den mächtigen Stamm bis hin zu den starken Wurzeln, mit denen sie im Boden fest verankert war.
Zipfelöhrchen hingegen war kein kleines bisschen von dem alten Baum beeindruckt. Er griff sogleich nach dem untersten Ast und begann hinaufzuklettern. Ein Haufen Blätter fiel zu Boden, dünnere Äste bogen sich unter seinem Gewicht, doch in Windeseile hatte er den Bienenstock erreicht.
Sogleich flog eine Biene vor Zipfelöhrchens Gesicht auf und ab. „Ah, da will mich doch schon eine süße Sumsedame begrüßen!“, freute er sich. „Mach bloß, dass du wegkommst! Ich weiß ganz genau, dass du einer der beiden der Trolljungen bist, die hier im Wald ihr Unwesen treiben. Ihr Nichtsnutze schlagt euch ohne zu fragen den Bauch mit allem voll, was ihr gerade findet. Aber unseren mühevoll gemachten Honig bekommst du nicht in die Pfoten!“, summte sie ärgerlich.
Zipfelöhrchen winkte nur müde ab. „Na komm schon, kleines Bienchen. Ich brauche doch nur ein bisschen“, sagte er und nahm Anlauf, um sich herüberzuschwingen. „Schwestern!!!“, rief die Biene, und schon war der räuberische Trolljunge von Wächterinnen eingeschlossen. Es gab kein Entkommen. Sie schienen überall zu sein. Ihm wurde ganz schwindelig. Sein dicker Bauch, schien ihn in die Tiefe ziehen zu wollen. Schnell griff er nach vorne, erwischte aber anstatt eines rettenden Astes den Bienenstock.
Zipfelöhrchen krallte sich daran fest, doch der Bienenstock hielt seinem Gewicht nicht stand. Zipfelöhrchen riss das Zuhause der Bienen aus seiner sicheren Verankerung, knallte an den Stamm und rutschte daran unsanft hinunter. Dort hockte er nun und jammerte über seine schmerzenden Knie und Ellenbogen.
Die Bienen hatten sofort von ihm abgelassen und waren zu ihrem Stock geflogen, der jetzt nur noch an einer Stelle sicher mit der Buche verbunden war. Ein Bienchen trennte sich von den anderen, und kam entrüstet zu Zipfelöhrchen geflogen. „Was hast du nur getan, du Flegel?! Jetzt ist unser Bienenstock wegen dir in großer Gefahr. Lass dir gefälligst etwas einfallen!“
Paul und Friedrich hatten das ganze Unglück mitverfolgt. Alles ging jedoch so schnell, dass sie nicht rechtzeitig etwas unternehmen konnten. Keuchend kamen sie bei ihrem Freund an. „Alles in Ordnung?“, wollte der besorgte Paul gleich von ihm wissen. „Nein, natürlich nicht! Ich habe fast unerträgliche Schmerzen, aber danke der Nachfrage.“ Der Troll stand unter großen Seufzern mühevoll auf, und zeigte auf den Bienenstock. „Kümmert euch nicht um mich, sondern um die Notlage der Bienen“, sagte er heldenhaft.
Der Bienenstock wankte gefährlich hin und her. „Wir brauchen etwas Seilähnliches, mit dem wir ihn erst einmal wieder an den Baum binden können“, war Pauls erste Idee. Er schaute sich schnell um, bis sein Blick an dem Rucksack von Zipfelöhrchen hängen blieb. „Die Wurzeln! Die sind doch etwas länger und lassen sich biegen. Verknoten wir ein paar von ihnen zu einer Liane und schlingen sie um Bienenstock und Ast.“ Friedrich nickte erst eifrig zustimmend, dann fiel ihm wieder ein, was ihnen noch bevorstand: „Bleibt dann auch noch genug für den Riesen übrig? Wir können ihm doch nicht nur ein dünnes Stöckchen hinwerfen!“ Zipfelöhrchen lachte rau: „Na, haben wir da doch eine Mimose in unserer Mitte? Immer sorgst du dich um den Riesen. Für den großen Schlumps wird es schon noch reichen!“ Etwas leiser fügte er zu Paul und Friedrich gewandt noch hinzu: „Außerdem können wir unseren Honig und damit den Schatz gleich vergessen, wenn wir den Summern nicht helfen.“
Also begannen die Gefährten, unter den strengen Blicken der Bienen, ihren Rettungsplan umzusetzen. Als die Wurzeln zu einem recht festen Seil zusammengeknotet waren, warf es sich der Trolljunge über seine Schulter und erklomm erneut die Buche. Oben angekommen, übernahmen die Bienen: Mit vereinten Kräften schlangen sie es um ihren Stock und den Ast.
Zipfelöhrchen saß in einer Astgabel und grinste. „Na was wollt ihr Bienchen denn? Ist doch wieder alles paletti!“ Eine Biene ließ sich auf seiner Knollnase nieder. „Wir haben doch die schwierige Arbeit gemacht! Und überhaupt, ohne dich, du Möchtegerndieb, wäre das erst gar nicht geschehen!“ „Ach Bienchen… Habe ich ich nicht gerade für euch mein Leben riskiert? Immerhin bin ich von meinem Sturz noch angeschlagen und hätte erneut hinunterfallen können. Gebt uns doch nur ein kleines Töpfchen von eurem Honig. Biiittte“, sagte er und klimperte mit seinen Augen. „Nur unter der Bedingung, dass dein Bruder und du euch nie wieder ungefragt an unserem Honig bedient!“, erwiderte die Biene. Zipfelöhrchen zögerte für einen Augenblick, aber dann hob er seine rechte Pfote. „Versprochen!“ Die gekreuzten Finger hinter seinem Rücken, konnte die kleine Biene natürlich nicht sehen…
Stolz kam der gerissene Troll mit dem Honig auf seine Freunde zugeschlendert. „Na, wer ist der Beste? Nun lies noch den letzten Hinweis vor, damit ich das dank meiner überragenden Klugheit auch noch lösen kann!“ Paul und Friedrich zogen ihre Augenbrauen zusammen und sagten dazu lieber nichts. Friedrich nahm einfach wieder die Karte in die Hand und las.
Hinweis Nummer 4: Schleimgetier von einem reinlichen Banditen
Dieses reinliche Pelztier mit Banditenmaske findet im kühlen Nass die schleimigsten Schnecken und wabbeligsten Würmer. Er ist ein gerissener Bursche, also bezweifle ich stark, dass ihr dem Gauner etwas von seiner Beute abluchsen könnt.
Daneben hatte der Räuber sich wieder an einer Zeichnung versucht: Ein dreieckiger Kopf mit pelzigen Ohren, und da wo die Augen hätten sein sollen, prangte ein fetter, schwarzer Strich. „Soll das ein Fuchs mit Maske sein? Oder doch ein Dachs?“, fragte Paul. Daraufhin musste Zipfelöhrchen lauthals lachen. „Rülpsender Rüsselkäfer! Was bist du denn für ein blindes Huhn? Das ist doch eindeutig Wilbert, der Waschbär! Das sieht man doch auf den ersten Blick.“ „Ja, ja, natürlich. Und wo soll der sich herumtreiben?“, grummelte Paul. „Am oberen Teil des Baches, aus dem ich die Flaschenpost geangelt habe. Kommt!“, forderte Zipfelöhrchen die beiden fröhlich auf.
„Trampelt gefälligst nicht so laut, da kriechen ja die Würmer wieder in ihre Löcher zurück! Ihr stört!“ Mit den zierlichen Pfoten im Wasser, tastete der Waschbär den schlammigen Boden des Baches ab. Er schien sehr beschäftigt, und auch nicht besonders gut gelaunt zu sein. „Na Wilbert, suchst du dir etwas Leckeres, damit dein pelziger Bauch noch dicker wird?“, fragte Zipfelöhrchen mit schräg gelegtem Kopf. Jetzt schaute der Waschbär zum ersten Mal auf. „Ach du bist es, Zipfelöhrchen!“
Die Wiedersehensfreude hielt bei Wilbert jedoch nicht lange an. „Du wolltest mir doch Schokoriegel besorgen! Seit vielen Monden warte ich darauf! Die Eier vom Bauern Kramer hast du ja schließlich von mir bekommen!“, beschwerte er sich und schwang wütend das schwarze Fäustchen.
Zipfelöhrchen schaute auf seine Fußspitzen. Das mit den Riegeln hatte er nämlich schon längst vergessen. Aber das wollte er nicht zugeben. Zipfelöhrchen wäre aber nicht Zipfelöhrchen, wenn ihm keine Ausrede einfallen würde. Fröhlich grinsend sagte er: „Genau deswegen sind wir ja hier! Nur habe ich etwas vieeel Besseres für dich in meinem Rucksack: frischen goldenen Honig.“ Wilbert schnaufte verächtlich. „Na schön, dann lass ihn mal rüberwachsen!“
Zipfelöhrchen holte den Rucksack von seinem Rücken, nahm ein Bändel in die Pfote und…hielt inne. „Du weißt, wie schwer es ist, den zu beschaffen. Ich habe unter Einsatz meines Lebens etwas davon für dich geholt. Dafür musst du wohl noch etwas drauf tun. Wie wäre es mit ein paar Schnecken und Würmern? Die gibt es hier doch zuhauf und du findest bestimmt jederzeit neue.“
Die Augen des Waschbären verengten sich zu Schlitzen, sodass sie inmitten des schwarzen Streifens fast nicht mehr zu sehen waren. „Du Gauner willst mich doch nicht etwa wieder übers Ohr hauen?“ Der Trolljunge schüttelte entschlossen seinen Kopf. „So etwas würde mir doch nie einfallen! Wilbert nickte kurz. „Dann warte da hinten bei deinen müffelnden Menschenfreunden – und seid leise!!!“
„Und, macht er es?“, wollte Friedrich gleich wissen. „Natürlich! Wir sind alte Freunde: da tut man sich schonmal kleine Gefallen“, antwortete Zipfelöhrchen. Sofort ertönte vom Bachufer ein dringendes „Pssscht!!!“
Nur kurze Zeit später kam er mit etwas Zappligen und Schleimigen in seinen Pfoten wieder. Eine kleine Schnecke hatte versucht, seinen Arm hinauf zu flüchten, doch sie war zu langsam. Im Nu hatte Wilbert sie mit flinken Fingern von seinem Fell gepflückt. Er bedachte Friedrich und Paul nur mit einem kurzen Blick, bevor er sich Zipfelöhrchen zuwandte: „Ich will erst den Honig sehen! Hol ihn sofort heraus.“ Wieder machte sich der Trolljunge an seinem Rucksack zu schaffen und … hielt inne. „Damit die Sache glatt geht, übergeben wir uns Honig und Schleimgedöns gleichzeitig. Wir zählen bis drei.“ Wilbert war einverstanden.
Doch die beidem Schurken hatten die gleiche Idee: Sie riefen plötzlich: „DREI!“, und ihre Pfoten schnellten nach vorn. Zipfelöhrchen war schneller. Er schnappte sich die Schnecken und Würmer und rannte los. Vor Aufregung bemerkte er jedoch nicht, wie er einen Teil seiner Beute unterwegs wieder verlor. Die Hälfte des Honigtopfes schwappte auch über. Goldene Tropfen fielen auf den Boden, auf die Schnecken und Würmer platschten.
Der Troll sprang auf den Rücken von Paul und rief: „Lauft!“ Ohne zu fragen rasten die Jungs los. Erst, als sie glaubten nicht mehr von einem wütenden Waschbären verfolgt zu werden, hielten sie an. „Was sollte das, bitteschön?“, fragte Friedrich ganz aus der Puste. Zipfelöhrchen grinste von einem Ohr bis zum anderen. „Der gute Wilbert ist eben nicht ganz so auf Zack wie ich!“, sagte er stolz. Dann wurde der Troll aber doch etwas still und nachdenklich. „Na, schlechtes Gewissen?“, wollte es Paul aus ihm herauskitzeln. „Nee. Aber wo bekomme ich jetzt frische Eier her?“
Laut schimpfend war Wilbert hinter den flüchtigen Dieben hinterhergerannt. Doch dann tapste er in etwas Klebriges. Was lag da vor ihm auf dem Weg? Seine Augen wurden groß vor Überraschung. Schnell sammelte der Waschbär die nun in Honig eingelegten Schlabberleckerein geschickt mit seinen Pfoten auf und stopfte sie sich ins Maul. Wilbert schloss die Augen und schleckte sich die letzten Honigtropfen von den Lippen. Zufrieden dachte er bei sich: „Das gute Zipfelöhrchen ist eben nicht ganz so auf Zack wie ich!“
In der Höhle des Riesen
Die drei Schatzsucher hatten sich für eine kurze Rast ein schattiges Plätzchen gesucht. Selbstsicher klopfte Zipfelöhrchen auf seinen Rucksack. Nun hatten sie alles zusammen und konnten sich endlich den Schatz holen. Er hopste auf seine Beine und schwang ihn sich auf den Rücken, wobei der Rucksack ihm ziemlich leicht vorkam – merkwürdig. Der Trolljunge stutzte kurz und schüttelte dann den Kopf. „Los, gehen wir weiter. Ich kann schon das Bauchknurren des Riesen hören!“, forderte er Paul und Friedrich auf. „Und wenn er doch lieber Appetit auf unschuldige, brave Jungs hat?“, brummelte Friedrich. Zipfelöhrchen kicherte. „Na dann schnapp ich mir den Schatz. Das Ganze hier muss sich ja gelohnt haben.“ Paul und Friedrich schauten ihn böse an. Sie fanden das ganz und gar nicht witzig.
Mit zusammengezogenen Augenbrauen holte Paul zum letzten Mal die Schatzkarte hervor. Schließlich wussten sie nicht genau, wo sich genau dieser Riese und damit der Schatz befand.
Vor den Augen der Habgierigen verborgen, ist mein prachtvoll funkelnder Schatz von Dunkelheit und kaltem Stein umgeben. Eingehüllt in einen Mantel aus tiefer Schwärze, bewacht ihn der Riese. Er starrt missmutig ausharrend in die Welt hinaus und wartet auf DICH!
Daneben war eine Zeichnung von einem hässlichen Kopf, dessen Monstrosität nur noch von dem riesigen, weit aufgerissenen Schlund mit scharfen Zackenzähnen übertroffen wurde. „Gruselig – aber auch irgendwie cool“, flüsterte Paul.
Zipfelöhrchen hatte nur einen kurzen unbeeindruckten Blick auf die Zeichnung geworfen. Er wollte schnell eine Lösung für das Rätsel finden. Langsam brummte ihm schon der Schädel. „Es handelt sich bestimmt um eine Höhle“, wollte ihm Friedrich auf die Sprünge helfen. Der Troll schaute ihn schief an. „Ach, ehrlich?! Es gibt aber einige Höhlen hier im Wald, du Schlauberger!“ „Aber die wohl tiefste und dunkelste ist die Hohensteiner Höhle. Darin sollen schon einige Wanderer in den weit verzweigten Gängen verloren gegangen sein“, wusste Paul. „Und wurden von dem Riesen gefressen“, fügte Friedrich mit zittriger Stimme hinzu.
Zipfelöhrchen stemmte seine haarigen Arme in die Seite. „Na ihr seid ja genau die Mimosen, von denen der Räuber gesprochen hat! Also ich gehe jetzt.“ Seine mit voller Absicht lauten Stampfschritte hallten in der Stille des Waldes wider. Die Jungs verdrehten genervt die Augen, folgten ihm aber.
Vor einer gewaltigen Felsformation blieben sie stehen. Die massiven Steine schienen wie große Wellen über ihnen zusammenschlagen zu wollen. Unter dem tobenden grauen Meer war eine kleine Aushöhlung, ein unscheinbarer Eingang. Um den zu erreichen, musste man erst eine kleinen Abhang hinunter.
Paul und Friedrich wurden von einem Blätterrascheln aus ihrer Starre gerissen. Zipfelöhrchen hatte es wie immer eilig. Ohne lange zu zögern, war er auf seinem Po die steile Bahn hinuntergerutscht. Nun ging er schnurstracks auf den zackigen Schlund zu und wurde sofort von der Dunkelheit verschluckt.Die beiden Jungs schien der Mut verlassen zu haben. Wie angewurzelt standen sie da.
Gerade, als Paul den ersten Schritt wagen wollte, erklangen aus dem Inneren der Höhle schrille Schmerzensschreie. Friedrich schlug sich die Hand vor den Mund. Jetzt war es aus mit Zipfelöhrchen – der Riese hatte ihn in seine Pranken bekommen!
Da! Es kamen weitere Laute aus der Höhle. Ein Stöhnen, begleitet von einem gruseligen Schleifgeräusch. Es wurde immer lauter… Schnell schnappte sich Paul einen Ast und fuchtelte damit wild herum. Friedrich ging langsam drei Schritte zurück. Es näherte sich dem Höhleneingang….
Und heraus kam Zipfelöhrchen. Er zog jammernd sein linkes Bein hinter sich her. Schnell rannten die zwei Jungs zu ihrem Freund. „Was ist passiert?“, fragte Paul schnell und half dem Troll beim Hinsetzen.
„Da drinnen ist es so dunkel wie in einem Maulwurfshügel. Man konnte ja nicht einmal die eigene Pfote vor Augen sehen, stinkender Knatterkäfer nochmal! Ich muss über einen Stein oder eine Wurzel gestolpert sein und habe mir dabei den Fuß verknickst, oder gebrochen, oder noch was Schlimmeres!“ Friedrich hatte wenig Mitleid mit dem voreiligen Troll. „Wer geht denn auch ohne ein Leuchtmittel in eine Höhle?“ Er holte aus seinem Rucksack eine Taschenlampe und knipste sie an. Nun war er es, der selbstsicher in die Dunkelheit marschierte. Zipfelöhrchen stieß die Luft mit einem Pfeifen aus und ließ sich von Paul aufhelfen.
Ein kalter Hauch kam ihnen entgegen und wischte die letzte Wärme der Sonnenstrahlen von ihren Gesichtern. Paul rieb sich über die in einem kurzärmeligen T-Shirt steckenden Arme. Die Taschenlampe von Friedrich machte einen kleinen Lichtkegel, der Rest blieb schwarz. Der felsige Boden war uneben. Man musste wirklich höllisch aufpassen, damit man nicht stolperte. „Jetzt leuchte doch auch mal hier herüber, sonst brechen wir uns noch den Hals! Wir müssen zusammenbleiben!“, motzte Paul seinen Freund an. Friedrich leuchtete ihm provokativ in die Augen, wartete dann aber auf die Nachkömmlinge.
So liefen sie eine Weile. Sahen nichts außer Stein, hörten nichts außer das Heulen des Windes und das „Plopp plopp“ von stetig fallenden Wassertropfen. „Wie weit müssen wir denn noch gehen? Findet ihr nicht auch, dass sich die Seitenwände immer mehr auf uns zubewegen? Gehen wir eigentlich bergauf oder bergab? Was wenn wir den Ausgang nicht mehr finden? Wir hätten Markierungen machen sollen“, sprudelte es nur so aus Friedrich heraus. Zipfelöhrchen blieb stehen. „Langsam will ich auch raus. Aber nicht, weil mir die Höhle oder Riese Angst machen, sondern weil du mir ganz einfach auf den Keks gehst!“ Friedrich war total entrüstet. „Ich bin doch hier der Einzige, der vorausdenkt! Ohne meine Taschenlampe wären wir nie so weit gekom…“ Er blieb plötzlich stehen, da der bisher gegangene Weg endete.
Vor ihnen taten sich drei neue Gänge auf. „Auch das noch“, seufzte Paul. Welchen sollten sie nur nehmen? Der Erste war so niedrig und eng, dass man bäuchlings hätte rutschen müssen, um vorwärts zu kommen. Der Zweite war mit alten Holzbrettern verbarrikadiert. Der Dritte sah ganz passabel aus, wären da nicht die roten Flecken auf dem Boden gewesen.
„Wir nehmen den hier“, sagte Zipfelöhrchen und wollte schon im dritten Eingang verschwinden, als Paul ihn am Arm zurückhielt. „Natürlich suchst du dir den mit den Blutflecken auf dem Boden aus!“ Der Troll kniff die Augen zusammen. „Erstens, was könnte ein besserer Hinweis dafür sein, dass hier ein gefährlicher Riese haust und zweitens weißt du ja gar nicht, ob es wirklich Blut ist!“ Der Troll kniete sich auf den Boden und schnüffelte vorsichtig daran. „Komisch“, dachte er bei sich. Roch das nicht nach Himbeeren?
Plötzlich rollte grollend ein grässliches Brüllen aus dem Gang, das laut von den Steinwänden widerhallte. Zipfelöhrchen zog entschlossen seine Latzhose über den Bauchnabel. Es ging also wirklich los…
Die Luft im Gang war feucht und erschwerte das Atmen. Die spitzen Steine des unebenen Bodens bohrten sich in ihre Schuhsohlen. Von den Wänden ging immer noch ein schwaches Raunen aus. So als wollten sie ihnen eine Warnung zuflüstern. Da blieb Zipfelöhrchen ruckartig stehen, sodass die zwei Jungs in ihn hineinstolperten. Der Gang hatte geendet.
Vor ihnen öffnete sich ein weites Gewölbe. An den Wänden tanzten knisternd Flammen von Fackeln. Über ihre flackernden, schwarzen Schatten schoben sich jetzt die Umrisse des Riesen: wildborstige Haare standen von seinem beuligen Schädel wie Stacheln ab. Mit einer seiner großen Pranken schwang er eine Keule, was den weit über die zerfetzte Hose ragenden Schwabbelbauch zum Mitwabbeln brachte.
„Jämmerliche Winzlinge! Habt Ihr mir was mitgebracht?! Ich rate es Euch!“ Er spie ein grauenhaftes Lachen aus, das Steine von der Decke rieseln ließ. Den Gefährten fuhr ein grausiger Schrecken in die Glieder. Mit zitternden Händen versuchte Zipfelöhrchen, möglichst schnell seine Tasche zu öffnen. Er schaute hinein und wurde ganz bleich: Muffelige Miefmauken! Die Tasche war ja fast leer! Eine halbe Pilzkappe, ein angeknabbertes Würzelchen, eine kleine Honigpfütze und ein dünner Wurm – das war alles! Da hatte er wohl doch einmal zu viel genascht…
Trotzig schob der Trolljunge das Kinn vor. Man sollte das Leckerzeug besorgen, wie viel davon stand nicht auf der Karte! „Ich warte!“, rief der Riese mit Donnerstimme. Paul und Friedrich schubsten Zipfelöhrchen ängstlich an. „Ich mach ja schon!“ Er warf die Tasche in die Mitte des Raumes, sodass der spärliche Inhalt herauspurzelte.„Das ist alles?!“, platzte es gleichzeitig aus den beiden Jungs heraus.
Unter ihre entsetzten Stimmen mischte sich auch die des Riesen. Der Schatten an der Wand verschwand plötzlich. Die Schatzsucher erstarrten. Gleich würde er wirklich um die Ecke kommen und sie mit einem Happs verschlingen. Schnelle Trampelschritte näherten sich ihnen. Sie wurden lauter. Jetzt stand nur noch ein winziger Felsbrocken zwischen ihnen und dem Riesen. Mit zitternden Knien warteten sie auf den hungrigen Wächter.
Eine unerwartete Begegnung
„Wegen Euch nutzlosen Knabberkakerlaken habe ich den halben Tag in diesem dunklen Loch zugebracht und mir dabei meinen empfindlichen Trollpopo abgefroren! Und was habe ich davon? Ein minikleinen Imbiss. Das reicht nicht mal, um meinen Magen zu kitzeln!“
Vor ihnen plusterte sich ein wütender Waldtroll auf. „Zottelfell!!!!“, rief sein Bruder entsetzt. „Was machst du hier? Sag ja nicht, dass du hinter alldem steckst, sonst beiße ich dich gleich in deinen empfindlichen Trollpopo!!!!“
Zottelfell machte ein unschuldiges Gesicht. „Was beschwerst du dich? Du wolltest doch unbedingt ein Abenteuer erleben. Ich dachte, ich tue dir einen Gefallen. Und warum dann nicht auch mir gleich einen mit, wenn bei deiner Suche auch noch ein paar Leckereien für mich herausspringen?!“
„Du fauler, selbstsüchtiger Knallkäfer! Bei deiner doofen Schatzsuche habe ich mich mit einem Wildschwein angelegt, bin von einem Baum gefallen und habe es mir mit meinem allerbesten Freund, Wilbert Waschbär, verscherzt!“, raunzte Zipfelöhrchen seinen Bruder an.
Es folgte ein kurzes Schweigen. Dann murmelte Friedrich. „Na ein bisschen spaßig und aufregend war es schon…“ Zottelfell fügte maulig hinzu: „Und an diesem großartigen Picknick kann man sehen, dass du dir die Leckereien auch schön hast schmecken lassen.“ Zipfelöhrchen schnaubte leise.
Ein kühler Windhauch erinnerte sie alle wieder deutlich daran, wo sie sich befanden. „Jetzt lasst uns endlich diese Höhle verlassen, bevor sich noch jemand einen Schnupfen holt“, sagte Zipfelöhrchen und rieb sich seine bereits kribbelnde Nase.
Als sie wieder draußen in der wärmenden Sonne standen, wollte Friedrich von Zottelfell noch eines wissen: „Wie bist du eigentlich auf die Idee mit der Schatzkarte gekommen?“ Der Trolljunge hob kurz die Schultern. „Bin ich nicht. Ich kann doch noch nicht einmal richtig schreiben. Sie steckte in Wurzelsträngen neben meinem Himbeerstrauch fest. Da habe ich sie einfach in eine Flasche gestopft und am Bach auf mein Brüderchen gewartet, um sie dann schwimmen zu lassen. Hat super geklappt“, berichtete er stolz.
Pauls Herz begann vor Aufregung wieder schneller zu schlagen. „Aber dann kann es ja wirklich einen Schatz geben!!“ Da kam wie zur Antwort aus der Höhle ein lautes, hungriges Brüllen…