Lavetia und die Waldgnome

Lavetia Waldwichtel schnupperte an einer Wurzel und bekam einen kräftigen Niesanfall. „Haaatschi! Haatschi! Hatschi!“ Die Stinkwurz roch widerlich vermodert. Sie war perfekt für den Zaubertrank! „Nun schau nicht so Mienchen. Wenn auch in diesem Jahr die Pilze aus dem Boden sprießen sollen, muss es halt erst einmal müffeln“, klärte sie ihr Mäuschen auf.

Mienchen drehte sich in ihrem kleinen Bett aus weichem Moos noch einmal um. „Der Herbst klopft schon stürmisch an die Tür. Ich bleibe lieber hier, in unserem warmen Wichtelhäuschen.“ Lavetia konnte das nicht verstehen. Die Dunkelheit und Kälte würden sie noch lange genug einsperren. Sie musste hinaus und Frau Sonne begrüßen!

Vielleicht sah sie ja auch Tamina Fee wieder. In diesem Sommer haben sie so viel Spaß zusammen gehabt. Lavetia hatte sich sogar ein paar Feentanzschritte gemerkt. „Ja, so leichtfüßig und zart wie eine Fee sein – das wird mir wohl unmöglich sein“, dachte sie etwas wehmütig. Ihre kurzen Trampelbeinchen erlaubten dies nicht.

Die anderen Wichtelmädchen waren stolz auf ihr wildes Wuschelhaar, die Sommersprossen links und rechts der Knubbelnase. Lavetia aber, träumte von einem Kleid aus zartem Stoff, einem Funkelzauberstab und einer sanften Glockenstimme.

„Hach, nichts als Puderzuckerwölkchen! Zurück zum Hier und Jetzt: Pilze sollen wachsen“, mahnte sie sich zur Vernunft. Lavetia machte sich daran, den nun fertigen Trank in kleinere Tontöpfe umzufüllen und verstaute diese in ihrer grünen Tasche.

„Ich bin vor Sonnenuntergang wieder zurück“, verabschiedete sie sich von ihrer Mama. „Das will ich dir auch raten, mein Kind. Mit der Dämmerung kommen die Waldgnome und die nehmen dich mit in ihr Erdreich.“ Das Waldwichtelmädchen schüttelte den Kopf. „Das sind doch alte Geschichten.“ Mama wollte nur, dass sie pünktlich zum Abendbrot vor einem Teller Schneckensuppe saß. Schnell schlüpfte Lavetia durch die Tür.

Draußen wurde es wirklich schon kalt. Fröstelnd zog das Wichtelmädchen ihr Wolltuch enger um die Schultern. „Dann werde ich Tamina Fee wohl nicht mehr sehen. Kälte und Sturm tun den zarten Feenflügeln nicht gut. Drum bleibt sie bestimmt bei ihrem Volk im Schloss“, stellte Lavetia mit Bedauern fest.

Hinter ihr steckte auch endlich Mienchen ihre Schnuppernase aus dem Haus. „Dich kann man doch nicht alleine lassen. Außerdem muss ich noch ein paar leckere Nüsse für meinen Wintervorrat finden“, piepste das Mäuschen. Lavetia grinste breit. „Na dann, komm!“

Im Wald war es noch still. Man hörte nur das Rascheln der bereits gefallenen Blätter unter ihren Füßen. „Mal sehen. Hier unter der alten Buche ist doch der perfekte Platz für ein paar süße Stockschwämmchen.“ Das Wichtelmädchen zog mit einem lauten „Plopp“ den Korken aus einem der Töpfchen und träufelte etwas von der dunklen Flüssigkeit auf den Boden. „Nur ein paar Tropfen, sonst werden viel zu viele Pilze an einer einzigen Stelle wachsen“, rief sie sich in Erinnerung. Sofort drängten sich auf diesem Erdfleck kleine Pilzköpfe ans Licht. Lavetia schnalzte zufrieden mit der Zunge.

Sie bekam dafüreinen kleinen Applaus. „Danke Mienchen, aber wir haben noch ein gutes Stück Wald vor uns.“ Die kleine Maus kaute gerade an einer Eichel und piepste mit vollem Mund: „Ischh, mmpff, mpff, war das nischt.“ Ein helles Glockenlachen ertönte. „Aber ich!“ Tamina Fee flatterte elegant von einem Ast hinab. „Das hast du wirklich toll gemacht.“ Lavetia schaute verlegen auf ihre Füße. „Ach, das war doch nichts Besonderes. Du solltest mal sehen, wie sie mit dem Kitzelzauber einen Frosch zum Quaken bringt“, verriet Mienchen mit einem Gluckser.

Tamina tippte Lavetia auf die Schulter. „Du bist“, und rannte davon. Fangen – das war das Lieblingsspiel der Feen. Das Wichtelmädchen vergaß schnell ihr Vorhaben und lief ihr jauchzend hinterher. Sie spielten den ganzen Nachmittag und merkten dabei nicht, wie die Zeit verging.

Die Sonne zeigte sich schon in ihrem roten Abendkleid, als Lavetia scherzte: „Wir müssen nach Hause gehen, sonst holen uns die Waldgnome.“

Dabei schielte sie, schob die Zähne nach vorne und formte mit ihren Händen Pranken. Tamina kicherte. Keine der beiden wollte mit dem Spielen aufhören. So brach langsam die Nacht an.

„So, jetzt können wir wirklich nichts mehr sehen“, maulte Mienchen. „Doch, da hinten leuchten noch Glühwürmchen“, entgegnete Lavetia. Freudig blickte die Fee in die angezeigte Richtung. Die gelben Leuchtpunkte waren jedoch viel zu groß für Glühwürmchen. Sie näherten sich langsam. Nun sahen sie wie stierende Augen aus. Diese saßen in pelzigen Gesichtern, darunter Mäuler mit großen Zähnen. „Das sind keine Glühwürmchen, sondern Waldgnome!“, schrie Lavetia erschrocken.

Sie rannten so schnell sie konnten. Die Fee flatterte verzweifelt mit ihren Flügeln und zog das Wichtelmädchen mit sich. Hinter sich hörten sie das Grunzen der Nachtmonster. „Wo ist Mienchen?!“, rief Lavetia ängstlich. Tamina schüttelte ihren Kopf. Sie konnte die Maus nicht mehr sehen und hoffte inständig, dass ihr nichts geschehen war.

Die zwei Mädchen schafften es gerade noch so, auf einen Baum zu klettern. Mit ihren plumpen Körpern konnten die Waldgnome ihnen nicht in die Höhe folgen. Sie dachten aber auch nicht daran, von ihrer Beute abzulassen. Die Untiere zogen um den Baumstamm Kreise.

„Was machen wir jetzt nur? Du musst mich hier zurücklassen und zum Schloss fliegen, um deine Eltern zu holen“, schlug Lavetia verzweifelt vor. Tamina versuchte einen Start. „Ich kann nicht. Für meine Flügel ist es schon zu kalt. Ich kann sie nicht mehr bewegen“, schniefte sie.

Lavetia überlegte. Sie konnten doch nicht die ganze Nacht auf diesem dummen Baum verbringen. Unter ihr brüllte ein Waldgnom. Das Wichtelmädchen wurde wütend und warf einen ihrer Zaubertranktöpfe nach ihm. „Nimm das und lass uns endlich in Ruhe!“, schimpfte sie. Lavetia verfehlte ihn knapp. Im Nu war der Platz vor der Eiche mit Pilzen bedeckt. Die Gnome waren überrascht und rochen mit Vorsicht daran. Sie befanden sie wohl als essbar, denn ihre Zurückhaltung währte nicht lange. Die Gnome stürzten sich mit großem Appetit darauf.

Lavetia brauchte nicht lange, um ihre Chance zu erkennen. „Das ist die perfekte Ablenkung“, jauchzte das Wichtelmädchen und erzählte Tamina sogleich den weiteren Plan: „Ich werfe die Töpfe so weit ich kann, die Hohlköpfe machen sich über die Pilze her und wir rennen los.“ Die Fee nickte zustimmend.

Gesagt getan. Lavetia holte aus und ließ die Tontöpfe auf dem Waldboden zerspringen. Dann kletterte das Wichtelmädchen geschickt Ast für Ast hinab. Dabei verlor sie Tamina nicht aus den Augen. Immer wieder reichte sie der zarten Fee die Hand und half ihr, einen sicheren Tritt zu finden.

Die Gnome hatten bald gemerkt, dass sie hereingelegt worden waren und verfolgten die Mädchen mit lautem Geheul. Die Zwei rannten schnell wie der Wind. Da sahen sie vor sich wieder Lichter auftauchen, die sich langsam im Dunkel der Nacht bewegten.

Lavetia und Tamina schlugen die Herzen bis zum Hals. Sie saßen schon wieder in der Falle: hinter ihnen die Gnome vor ihnen unbekannte Grusellichter. Diese hielten genau auf sie zu.

Plötzlich schrie Lavetia auf: „Mama, Papa!“ Ihre Eltern und Nachbarn kamen mit Fackeln und verjagten die Waldgnome, denn die mochten Feuer überhaupt nicht.

Lavetias Mama schloss sie ganz fest in ihre Arme. „Wir haben uns schreckliche Sorgen gemacht. Mienchen hat uns alles berichtet und hierher geführt.“ „Du braves Mäuschen“, sagte Lavetia und gab ihr ein Küsschen auf die Nasenspitze.

Die Waldwichtelmama wandte sich noch einmal an das treue Grautierchen: „Lauf geschwind zu Taminas Eltern und versichere ihnen, dass mit ihrer Tochter alles in Ordnung ist. Sie wird diese Nacht noch bei uns bleiben, um sich von dem aufregenden Abend auszuruhen.“ Die Maus nickte und lief los.

In weiche Decken eingemummelt, lagen die zwei Freundinnen in Lavetias Bett. „Ich finde, wir haben das ziemlich gut gemeistert“, sagte Tamina in die Stille hinein. Lavetia zog die Stirn in Falten. Bis jetzt hatte das Wichtelmädchen immer gedacht, dass sie einen Funkelzauberstab und Flatterflügel bräuchte, um mit sich zufrieden zu sein.

„Heute war ich einfach nur ich selbst und habe mich ziemlich stark dabei gefühlt.“ Sie drehte sich zu Tamina und sagte mit strahlenden Augen: „Es ist doch toll, ein Wichtelmädchen zu sein.“

„Und ich würde dich auch für keine Feenfreundin dieser Welt eintauschen wollen. Unser nächster Ausflug wird aber bitte etwas weniger brenzlig.“

Mienchen hob ihren Mäusekopf aus dem Mooskörbchen und gähnte. „Ihr zwei Wirbelwinde werdet garantiert wieder für Aufregung sorgen, aber zum Glück habt ihr ja mich“, flüsterte sie zufrieden.

Die Mädchen lachten. „Natürlich Mienchen. Ohne deine Heldentat wären wir verloren gewesen.“ „Sag ich doch und jetzt gute Nacht. Ich bin ganz erschöpft“, murmelte die Maus in ihren Schnurrbart. Tamina und Lavetia kuschelten sich aneinander und schliefen ein. Bei der ganzen Aufregung, hatten sie gar nicht bemerkt, wie müde sie waren.

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