Grimelda Grimmhexe und der Brombeerfleck

Kapitel 1

Grimelda war sauer. So richtig kurz- vor- dem- Giftkessel-Überkochen-sauer! Die kleine Grimmhexe stampfte extra doll mit den Absätzen ihrer Stiefel auf den morschen Treppenstufen auf, die in das verfluchte Haus ihrer Großmutter führten. Das Quietschen und Knarren sollte ordentlich laut durch den Wald schallen, damit ja auch jeder Bescheid wusste, dass sie gerade nicht die beste Laune hatte!

„Passwort?“, krächzte der Türknauf, kaum dass Grimelda die letzte Stufe erreicht hatte. „Heinrich, du alter Klapperer! Du weiß ganz genau, dass ich es bin. Lass mich gefälligst hinein!“, fauchte die kleine Hexe und zerrte sich den schwarzen Hexenhut vom Kopf, sodass ihre lilafarbenen Haare in alle Richtungen abstanden.

Unter der fleckigen Goldknaufnase verzog Heinrich seinen Mund zu einem schiefen Lächeln, mit dem er sonst Schlüssel zermalmte, die man wagte, hineinzustecken. „Jetzt wo ich deine Zauselfrisur und die Spinnenbeintapser auf den blassen Wangen sehe, fällt es mir wieder ein“, säuselte er, und zog doch eine kantige Augenbraue streng nach oben. Sich selbst unheimlich wichtig nehmend, erklärte er dann: „Trotzdem will ich nicht nachlässig werden. Was, wenn du eine Hexe bist, die mich mit einem Tarnzauber hereinlegen will? Ich mache meine Arbeit stets gut und durchaus gründlich. Frau Griselind vertraut auf…“ „Arrgh!“ Grimelda warf genervt die Arme in die Luft. „Das Passwort ist KNALLFROSCHPUPS!“, rief sie sehr laut und sehr deutlich, um nicht noch länger hier draußen stehen zu müssen. „Geht doch! Warum nicht gleich so?“, bekam sie als knappe Antwort. Die schwere Holztür schwang mit einem Knarzen auf. Grimelda marschierte sofort in den langen Flur und warf die Tür hinter sich mit wutschnaubender Kraft zu. Zwei wichtelgroß über dem Knauf wackelte das „NICHT-Herzlich-Willkommen-Schild gefährlich. Heinrich grummelte leise Schimpfwörter, die zum Glück niemand verstand.

Mit wehendem Umhang hielt die Grimelda auf das Wohnzimmer ihrer Großmutter zu. Neugierige Blicke hafteten sich an ihre Fersen wie klebriges Pech. Doch heute war sie viel zu aufgebracht, um mit den Gemälden ihrer Vorfahren einen Plausch zu halten. „Sie ist so herrlich wütend“, „Schaut, wie ihre rabenschwarzen Augen glitzern!“, „Hach, wir können so stolz auf sie sein.“ Das Flüstern und Raunen der großen, schrecklichen, aber leider auch schon lange verblichenen Grimmhexen und -hexern, rauschte wie Fledermausflügel durch den engen, dunklen Gang.

Grimelda wurde langsamer. Ihre Knie fühlten sich mit einem Mal wabbelig wie Schneckenschleim an. In ihrem Hals rutschte der fette Kloß noch ein Stück weiter nach oben. Dicke Tränen rollten ihr über die Wangen. Sie schniefte und wischte sie grob mit dem Ärmel ihres Kleides weg. Dann machte sie zwei lange Schritte rückwärts, um in den Garderobenspiegel schauen zu können. Silbernes Mondlicht ergoss sich aus einem hohen Fenster über das traurige Hexlein. Grimelda hob das Kinn und blickte sich selbst in dem staubigen Glas entgegen. Sah man ihr wirklich Boshaftigkeit und Schadenfreude an? Ihre rabenschwarzen Augen huschten ängstlich suchend über die Hexe im Spiegel.

An ihrer rechten Wange klebte noch etwas Himbeersaft, mit dem sie sich heute Morgen Farbe ins Gesicht hatte zaubern wollen. Aus dem freudigen Funkeln in ihren Augen war ein gefährliches Blitzen geworden. Zwischen ihren buschigen Brauen hatte sich eine tiefe Falte gegraben. „Was mache ich mir eigentlich vor?“ Grimelda seufzte tief. „Was wollte ich ihnen vormachen? Ich bin eine Grimmhexe und werde nie etwas anderes sein!“, wisperte sie rau. Grimelda ließ den Kopf hängen. Keinen Wimpernschlag länger konnte sie dieses Spiegelbild und die finstere Wahrheit, die es ihr zeigte, ertragen. Da schob sich aus dem Dunkel ein Gesicht voller Runzeln und Falten, mit drei Warzen auf der wie ein Habichtschnabel gebogenen Nase und…. zwei blindschleichen-grauen Augen, die Grimelda mit tiefer Zuneigung, aber auch Sorge betrachteten. Die echte Grimelda – nicht die im Spiegel.

Griselind legte einen ihrer langen, knochigen Finger unter das Kinn ihrer Enkelin und schob es sanft nach oben. „Na, na. Wer will denn da den Kopf in den Sumpf stecken? Erzähl deiner schrecklich fürchterlichen Großmutter, was für eine Kröte über deine Frühstücksgrütze gelaufen ist“, sagte sie mit ihrer tiefen Knarzstimme, die Grimeldas Herz gleich etwas ruhiger schlagen ließ. Grimelda zog scharf die Luft ein. Dann drehte sie sich blitzschnell um und warf sich in die Arme der obersten Oberhexe der Grimmhexen – ihrer über alles geliebten Oma.

Die kleine Grimmhexe ließ nun ihren Tränen freien Lauf und schluchzte so laut, dass sogar die Gemälde betreten verstummten. Griselind strich ihr sanft über den Rücken. „Das verlangt nach einem Gespräch vor dem Drachenfeuerkamin und warmem Fliegenpilzpunsch. Du hast Glück, denn gerade habe ich frisch welchen gebrüht.“ Griselind kicherte. „Der Punsch wird auf deiner Zunge besonders kribbelig kitzeln. Bestimmt bekommst du dann gleich bessere Laune!“ Grimelda gab ein ungläubiges Schnauben von sich. Vorsichtig löste die Obergrimmhexe Grimeldas feste Umklammerung, nur um sie gleich wieder fest an ihre Seite zu drücken. „Nun komm, mein Mistkäferchen. Wir begeben uns in die gute Stube.“ So gingen an den Armen eingehackt, wobei die alte Griselind ihre 780 Jahre jüngere Enkelin nur um einen halben Kopf überragte, das letzte Stück des Flurs, hin zum roten Schein der Drachenfeuerstube.

Kapitel 2

Grimelda trat in die wohlige Wärme des Zimmers und atmete den ihr vertrauten Geruch tief ein. Es war eine Mischung aus dem modrigen Ebenholz aus dem das Haus gebaut war, dem würzigen Duft der getrockneten Kräuter, die von der Decke hingen und natürlich dem der vielen Bücher. Wie viele Nachmittage hatte die kleine Hexe schon damit verbracht, in aufregende Geschichten einzutauchen und sich durch die vielen Zaubersprüche und das Wissen über die Tiere und Pflanzen des Waldes zu arbeiten. Dabei gab es immer etwas Neues zu entdecken, denn Großmutter Griselind hatte sehr viele Bücher: ordentlich aufgereiht in schiefen Regalen, hoch gestapelt auf dem Fensterbrett oder eben mal im Strickkorb zur Seite gelegt.

Grimelda machte gerade einen großen Schritt über das dicke Molchlexikon und strich über den glatten Dreieckkopf von Kurt Kreuzotter, der es sich auf dem Leselampenschirm gemütlich gemacht hatte. Schließlich ließ sich die Grimmhexe auf einen der großen Ohrensessel aus violettem Samt fallen. Sie standen genau vor dem weit aufgerissenen Maul des großen, steinernen Drachen, in dem die Flammen eines gemütlichen Feuers züngelten. Griselind drückte ihrer Enkelin eine große Tasse in die Hand und ließ sich dann mit einem leisen Ächzen in dem Sessel ihr gegenüber nieder. So saßen sie eine Weile, ohne ein Wort zu sagen und nippten an dem warmen Fliegenpilzpunsch. Während Grimelda den Tanz der Flammen beobachtete, kreisten die Gedanken in ihrem Kopf immer schneller.

„Rückst du nun mit der Sprache raus, oder warten wir bis Kurt ein Fell wächst?“ Um Oma Griselinds Mundwinkeln spielte ein Lächeln. „Da brauchen wir nicht zu warten. Im Keller, drittes Regal links, neben dem Warzenschreckserum, steht noch eine Flasche mit Fellzaubertrank“, murmelte Grimelda. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und schnaubte. „Vielleicht sollte ich beides in den lächerlich süßen Kirschsaft der Fee Rosenblüte kippen. Die ist nämlich Schuld an allem. Und gemein!“ Griselind hob fragend eine nachtdüstere Augenbraue. Und da gab es für Grimelda kein Halten mehr. Sie fing an zu erzählen, was ihr zugestoßen war:

Es hätte so schön werden können! Ich habe mir extra die Spinnenweben aus dem Haar gebürstet, Himbeersaft auf meine blassen Wangen gekleckst und mein schwarzes Kleid mit roten Schleifchen geschmückt. Ich war so gut auf das Picknick der Feenprinzessin Tauschön auf der bunten Blumenwiese vorbereitet! Nur die hochnäsigen Feengäste wohl nicht auf mich – eine Grimmhexe. Die Prinzessin hat mich freudig in Empfang genommen. Ihre Hofdamen jedoch, hatten hinter vorgehaltener Hand nur gemeine geflüsterte Worte für mich übrig. So habe ich mich still neben die Prinzessin gesetzt und ihnen dabei zugeschaut, wie sie mit spitzen Fingern Kuchen gegessen und sich mit ihren glockenhellen Stimmen über die neuesten Kreationen des Hofschneiders ausgetauscht haben.

Ich hatte gerade nach einem köstlich aussehenden Brombeermuffin gegriffen, als die Fee Rosenblüte wie von einer Biene gestochen aufschrie: „Auf meinem schönen Kleid ist ein riesiger Brombeerfleck!“ Ihre kühlen Augen richteten sich sofort auf mich und den Blaubeermuffin in meiner Hand. „Sie war es! Bestimmt hat die Grimmhexe mir aus Neid auf meine Schönheit einen Fleck auf mein Kleid gezaubert!“, hatte sie mich sofort beschuldigt. Dabei war ich es gar nicht! Vor Schreck und Verzweiflung muss ich wohl den Muffin in meiner Hand zerdrückt haben, denn als die bitteren Worte: „Es wäre besser, wenn du jetzt gehst“, über die Lippen der Prinzessin kamen, wischte auch sie sich Blaubeermuffinkrümel von ihrem Rock. Mit zitternden Knien bin ich aufgestanden und bin mich ohne noch einmal zurückzublicken davongelaufen.

Eine große, warme Hand strich Grimelda über die tränennassen Wangen. Grimelda schloss die Augen und lehnte sich mit einem nun etwas leichteren Herzen in die tröstende Berührung ihrer Großmutter. „Nein! Kein Einlass!“ Grimelda hob den Kopf und lauschte. Die aufgebrachte Krächzstimme des Türknaufs klang überdeutlich in die Stille des Wohnzimmers hinein. „Die Obergrimmhexe und ihre werte Enkelin erwarten keinen Besuch und möchten auch nicht gestört werden!“ „Könnten sie Grimelda wenigstens sagen, dass Prinzessin Tauschön hier war? Wenn Grimelda doch noch mit mir sprechen möchte, weiß sie ja, wo sie mich findet. Die anderen Feen werden auch nicht dabei sein.“ Fügte die liebliche Stimme noch vorsichtig hinzu. Die Prinzessin! Sie war ihr nachgelaufen! Wollte die Fee ihr noch einmal deutlich sagen, dass sie nichts mehr mit ihr zu tun haben wollte? Grimeldas Herz klopfte wild in ihrer Brust. Hilfesuchend sah sie Oma Griselind an. Die ruckte mit dem Kopf in Richtung der schweren Haustür. „Geh nur. Sprich mit ihr. Eine Grimmhexe versteckt sich nicht, wenn es einmal brenzlig wird.“ Grimelda nickte einmal kräftig und wiederholte entschlossen: „Grimmhexen verstecken sich nicht.“

Kapitel 3

„Au! Du musst nicht so kräftig drehen! Jetzt werde ich bestimmt dreieinhalb Wochen Knaufschmerzen haben!“, beschwerte sich Heinrich über die unsanfte Behandlung durch Grimelda, die die Tür aufriss. Prinzessin Tauschön war schon am Ende der Treppe angelangt. Das silberne Haar wehte weich um ihre Schultern, während sie sich überrascht zu Grimelda herumdrehte. „Du bist doch noch gekommen“, stellte sie mit einem freundlichen Lächeln fest. Grimelda konnte es ihr nicht zurückgeben. Noch nicht. Dafür war sie immer noch viel zu traurig darüber, dass die Prinzessin sie auf der Blumenwiese nicht angehört, sondern gleich weggeschickt hatte. Die Grimmhexe schürzte die Lippen und verschränkte die Arme vor der Brust. „Du bist ja auch hier.“ Grimelda beäugte den mit braunem Matsch beschmutzen Saum des königlichen Feenkleides. Sie ließ die Arme langsam sinken. „Du hast den Weg durch das Matschemoor genommen, um zu mir zu kommen.“ Tauschön zuckte mit den Schultern. „Das ist nunmal die kürzeste Strecke. Und ich wollte, nein musste, schnell bei dir sein. Um… Um mich zu entschuldigen.“

Die Prinzessin blickte der Grimmhexe fest in die Augen. „Ich hätte nicht so schnell über dich urteilen sollen. Das war falsch. Grimelda holte tief Atem. Die Grimmhexe ging eine Stufe hinunter. Dann noch eine auf die Prinzessin, die sie mit großen Augen ansah, zu. Das Knarzen der Treppe hallte zwischen den hohen Fichten, die dicht um das Hexenhaus standen wider. „Was hat deine Meinung über mich geändert?“, wollte Grimelda mit fester Stimme wissen. „Kaum, dass du weg warst, hat Rosenblüte vor Veilchenblau geprahlt, dass sie es selbst war, die eine Brombeere auf dem Stoff ihres Kleides zerdrückt hatte. Und das nur, weil sie für den Sommerfeenball ein neues wollte, was sie sonst von ihren Eltern nicht bekommen hätte. Sie dachte, ich bin in ein Gespräch mit Mohnella vertieft, doch ich habe jedes einzelne giftige Wort gehört.“ Tauschön schluckte schwer. Grimelda stand nun direkt vor der Feenprinzessin und sagte bitter: „Da bin ich ihr als jemand, dem man es leicht in die Schuhe schieben kann, recht gekommen. Jemand, dem man sowieso nicht glauben würde, auch wenn er die Wahrheit sagt. Jemand, der sowieso schon einen schlechten Ruf hat. Jemand, der nicht dazu gehört.“ Die Grimmhexe schob das Kinn vor. Eine Spinne seilte sich von einer ihrer lila Locken ab und baumelte nun gefährlich nahe vor Tauschöns Stupsnase. Noch vor kurzem wäre das Grimelda unheimlich peinlich gewesen. Jetzt nahm sie nur den Faden der Spinne zwischen die Fingerspitzen und setzte die Spinne wieder vorsichtig auf ihrer Schulter ab. Die Grimmhexe wollte nicht länger so tun, als sei sie jemand anderes, um ihr zu gefallen. Grimmhexen verstecken sich nicht.

Als Grimelda sich Tauschön wieder zuwandte erwartete sie Ekel oder Abneigung in ihrem feinen Gesicht zu sehen, doch die Prinzessin lächelte breit. „Ich wollte auch schon immer eine Spinne als Haustier. Nur leider sind die im Schloss nicht erlaubt.“ Tauschön tippte nervös mit der Schuhspitze auf ein trockenes Blatt auf dem Boden. „Vielleicht könntest du sie mitbringen, wenn du auf den Feensommerball kommst?

Grimelda riss überrascht die Augen auf. „Auf den Feensommerball? Du willst mich wohl verfauläppeln! Ganz gewiss komme ich nicht! Ich habe keine Lust noch einmal von hinterlistigen und gemeinen Feen beschimpft zu werden! Niemand will mich dort haben!“ „ICH will dich aber dabei haben! Du hast gesagt, ich habe dir nicht zugehört. Nicht gesehen, wer du wirklich bist. Gib mir und auch den anderen Feen eine Chance, dich besser kennenzulernen. Bitte! Du musst kommen!“ Grimela blickte die Feenprinzessin einen schier endlosen Augenblick lang still an. Dann nickte sie und erklärte entschlossen: „Grimmhexen verstecken sich nicht.“

Tauschön klatschte begeistert in die Hände und fiel Grimelda um den Hals. „Das ist sooo toll! Du wirst es nicht bereuen! Die Lieder für die vielen Tänze sind wundervoll und es wird jede Menge leckeren Kuchen und Kirschsaft geben! Sei nur in zwei Tagen zum Sonnenuntergang am Schlosstor!“

„Sie wird pünktlich sein!“, rief da eine kratzige Stimme. Die Mädchen blickten zum finsteren Haus aus Ebenholz. Großmutter Griselind stand in ihrer ganzen grimmigen Pracht als Oberhexe vor der Tür. Die kleinen Knochen und Steine um ihren Hals klimperten leise, als die Alte ihre langen, knochigen Finger darum schloss. „Zum Dank für Euer Kommen, will ich Euch die Rückkehr nach Hause etwas angenehmer und auch ein bisschen fixer machen. Tauschön riss erschrocken ihre Augen auf. „Ähm, danke. Aber das ist nicht nötig. Das bisschen Moorschlamm kümmert mich nicht!“ Die letzten Worte hatte sich so schnell beeilt zu sagen, dass ihre Lippen jetzt noch bebten. Griselind kicherte. „Aber meine Art zu reisen ist viel lustiger! Warte nur – ich beweise es dir!“ Sie klatschte dreimal in die Hände, murmelte etwas in alter Grimmhexensprache und mit einem PLOPP war Prinzessin Tauschön verschwunden.

Griselind kniff die Augen zusammen und legte den Kopf schief. So als würde sie auf etwas warten. Dann erklärte sehr zufrieden mit sich selbst: „Uuund genau JETZT müsste die Prinzessin weich auf ihrem Bett im Schloss gelandet sein. Ha! Zaubern kann ich noch!“ Die kleine Grimmhexe schaute ihre Großmutter anklagend an. „Und genau wegen dieser wilden Zauberei trauen uns die Feen nicht!“ Griselind zuckte nur mit den Schultern. „Du wirst ihnen auf dem Sommerball schon zeigen, dass sie sich glücklich schätzen könnten eine Grimmhexe als Freundin zu haben.“ Grimelda seufzte „Ganz bestimmt.“

Kapitel 4

Schwebende Kugeln, die nicht nur leuchteten, sondern glitzerten, als wäre darin das Licht der Sterne eingefangen, säumten den Weg zum goldenen Schlosstor. Heute Abend war es weit geöffnet. Feen aus allen Landen strömten hinein. Ihre prächtigen Gewänder und die bunten Steine darauf schimmerten im silbernen Mondlicht. Aufgeregte Stimmen und perlendes Lachen schwebten zu Grimelda hin, die nahe dem Feenschloss, aber weit weg genug im Schatten der dichten Fichten stand. Die kleine Grimmhexe strich sich eine nachtblaue Strähne aus der Stirn. „Mir ist doch ein bisschen mulmig zumute. Bist du denn wenigstens bereit Gerlinde?“ Die kleine Spinne krabbelte von Grimeldas linker Schulter zwischen die fein gesponnenen Puffärmel. Wieder heraus, über die mit Glimmerfaden auf den samtenen schwarzen Stoff gestickten Dornenranken, hinein in die Falten des weit schwingenden Rockes. Dann, im Zickzack, wieder hinauf zu Grimeldas Ohren, an denen Käferohrringe baumelten. Die Spinne schubste die glitzernden Schmuckstücke mit einem haarigen Beinchen sanft an, bevor sie sich in das sichere nachtblaue Lockengewirr ihrer Gefährtin zurückzog. Grimelda schmunzelte. „Ich nehme mal an, du magst das Kleid.“ Sie schnalzte leise mit der Zunge. „Es ist schon mal spinnengeprüft. Was kann da noch schief gehen?“ Grimelda kam aus den Schatten heraus. „Los geht’s! Grimmhexen verstecken sich nicht!“, sprach sie sich Mut zu und betrat den erleuchteten Pfad zum Feenschloss.

„Da bist du ja endlich!“ Eine zarte Gestalt, eingehüllt in einen mausgrauen Mantel, zog sie zur Seite, kaum das Grimelda durch das Tor gekommen war. „Wer…?“ Das Wesen hatte die Kapuze so tief ins Gesicht gezogen, sodass Grimelda nicht erkennen konnte, wer da an ihr zerrte. Sie schimpfte: „Was willst du von mir?!“ Ihre rechte Hand wurde von zarten Fingern fest gepackt. „Pssst. Nicht so laut. Warte. Nur noch ein kleines Stück…“, wisperte es. Das kleine Ding hatte erstaunlich viel Kraft. Grimelda blieb nichts anderes übrig, außer ihm hinter die weit bis zum Boden reichenden Äste einer großen Weide zu folgen. So vor Blicken geschützt, schob das Wesen endlich die Kapuze zurück.

„Tauschön!“, platze es aus Grimelda heraus. „Pssst!“, die Prinzessin legte einen Finger auf ihre perfekt geschwungenen Lippen und schaute sich aufgeregt nach allen Seiten um. Grimelda zog unverständig die Stirn in Falten. Dann senkten sich ihre Brauen schwer über die vor Wut funkelnden Augen. Das Herz klopfte schmerzhaft schnell gegen ihre Brust. Mit einem Mal war das neue Kleid viel zu eng. Draußen begannen die Musiker zum Tanz aufzuspielen. Die lieblichen Töne verzerrten sich in Grimeldas Ohren zu einer grässlichen Melodie. Sie schluckte schwer. Ihre eigene Stimme klang seltsam fremd, als sie Tauschön mit einem Knurren anklagend fragte: „Willst du mich hier vor den anderen ach so feinen Gästen verbergen? Bereust du etwa schon, dass du mich eingeladen hast?“ Eine Träne brannte heiß in ihren Augenwinkeln. Grimelda zwang sich, nicht zu blinzeln, damit sie nicht verriet, wie traurig und enttäuscht sie war. Die Grimmhexe schüttelte ihren Kopf. „Ich habe dir vertraut!“ Sie machte einen Stampfschritt nach vorne. „Ich zeige mich den anderen Gästen, auch wenn es dir nicht passt! Lass mich vorbei! Eine Grimmhexe versteckt sich nicht!“

Schnell schlang Tauschön ihre Arme um den zitternden Körper der Hexe. „Nein! Das hast du vollkommen falsch verstanden! Ich musste mit dir vorher noch etwas erledigen, was die anderen nicht mitbekommen dürfen! Ich habe einen Plan!“ Grimelda erstarrte. Die Prinzessin ließ sie wieder los, nur um schnell etwas aus der Manteltasche zu holen. „Hier!“, sagte sie aufgeregt und hielt Grimelda etwas auf ihrer ausgestreckten Hand hin. Die Grimmhexe presste die Lippen aufeinander, bis sie nur noch eine schmale Linie waren. Entschlossen schob sie das dargebotene Geschenk zurück. „Ich habe keinen Hunger. Und erst recht nicht auf einen BLAUBEERMUFFIN!“ Tauschön legte den Kopf schief. „Oh, der ist nicht zum Essen.“ Die Feenprinzessin festigte den Griff um den Blaubeermuffin, drückte ihn erst kräftig auf Grimeldas neues Kleid und dann auf die rosa Seide ihres eigenen Ballkleides.

„Entengrütze und Stinkelmorchelschleim! Was tust du da? Bist du von allen guten Kröten verlassen?!“ Entsetzt wich Grimelda zurück. Tauschön lächelte breit und leckte sich ein paar Krümel von der Hand. „Wusstest du das etwa nicht? Blaubeermuffin-Flecken sind der letzte Schrei. Wer keine auf seinem Kleid hat, braucht sich gar nicht einzubilden, auf diesem Ball glänzen zu können.“ Grimelda zog die Augen zu Schlitzen, dann riss sie sie weit auf. Jetzt hatte sie den Plan der Prinzessin verstanden! Die Grimmhexe grinste. „Na dann los! Machen wir die anderen auf unsere schönen Kleider aufmerksam und lassen sie vor Neid ganz grün werden!“

Kapitel 5

Wenn man sich auf etwas verlassen konnte, dann auf Gehässigkeit der Fee Rosenblüte. Kaum hatte Grimelda den Festplatz betreten, kam sie angerauscht. Im Schlepptau ihre genauso falschen Freundinnen Klatschmohn und Hyazinth, die angestrengt versuchten nicht auf die lange Plusterstoffschleppe der Fee zu treten. Rosenblüte ließ ihren Blick einmal verächtlich über Grimeldas Erscheinung gleiten. Natürlich hatte sie den Brombeerfleck sofort entdeckt. „Wie siehst du denn aus? Dein Kleid ist ja ganz schmutzig!“ Ihre Bitterkeit verzog die feinen Linien ihres Gesichts und ließ ihren Mund zusammenziehen, als habe sie in eine besonders saure Zitrone gebissen. „Das ist ja so klar gewesen! Du kannst es noch so sehr wollen, aber eine dreckige Grimmhexe wird nie zu uns wunderschönen Feen passen! Hab ich nicht recht, meine Lieben?“ Rosenblüte drehte den Kopf zu ihren Begleiterinnen, ohne sie wirklich anzusehen. Natürlich stimmten sie ihr eifrig zu.

Grimelda lag so viel auf der Zunge. Sie hätte schon gewusst, was sie dieser gemeinen, hochnäsigen Blindschleiche erwidern wollte. Doch sie schluckte die ärgerlichen Worte herunter. Jetzt noch nicht. Sie musste auf den richtigen Zeitpunkt warten. Das grässliche Gackern der Fee Rosenblüte riss aus ihren Gedanken. „Das Konzert der Erdkröten findet im Sumpf statt.“ Rosenblüte machte einen drohenden Schritt auf sie zu und hielt ihr den erhobenen Zeigefinger unter die Nase. „Da gehörst du übrigens auch hin!“

Grimelda hatte für dieses gemeine Verhalten nur ein müdes Lächeln übrig. Sie strich betont langsam über den fleckigen Stoff ihres Kleides und antworte ruhig: Die Einzige, die hier nicht passend angezogen ist, bist DU.“ Rosenblüte lachte schrill auf. „Wie bitte? Das sollte wohl ein schlechter Scherz sein?! Bist du etwa nicht nur hässlich, sondern kannst noch dazu nicht richtig sehen?“ Grimelda winkte müde ab. „Oh, ich kann sehr gut sehen – und zudem auch gut hören. Aber deine Ohren scheinen das Neueste nicht gehört zu haben: Prinzessin Tauschön hat verkünden lassen, dass Brombeerflecken und Flecken jeder Art auf Kleidern der letzte Schrei sind!“ Tauschön stampfte wütend mit dem Fuß auf. „Das hast du dir doch gerade ausgedacht!“

„Hat sie nicht!“ Tauschön trat aus den Schatten in das Leuchten der Feenkugeln und präsentierte den riesigen Brombeerfleck auf ihrem aus silbernen Seidenfäden gewebten Ballkleid. Rosenblüte sowie die Feen Klatschmohn und Hyazinth starrten die Prinzessin ganz verdattert an. Dann fiel ihnen das ihnen beigebrachte gute Benehmen wieder ein. Sie machten alle Drei einen tiefen Knicks. Tauschön nickte Grimelda zu und sagte dann in ihrer allerhöchnäsigsten Prinzessinnenstimme: „Ihr dürft euch wieder erheben – und euch gleich entfernen, wenn ihr nicht mit der neuesten Mode einverstanden seid.“

Rosenblüte rang aufgeregt mit den Händen. „Aber warum habt ihr denn nicht schon bei unserem Picknick etwas gesagt? Da habt doch den schönen Brombeerfleck auf meinem edlen Kleid gesehen?“ Die Prinzessin legte den Kopf schief. „Du wolltest ihn doch weg haben. Oder nicht? Du hast so sehr darüber geschimpft, dass ich annehmen musste, es wäre absolut nicht dein Geschmack! Wenn ich mich recht erinnere, warst du sogar sehr böse mit unserer lieben Grimelda hier, die dir mit dem Schmutzigmachen deines Kleides einen großen Gefallen tun wollte?“ Die Prinzessin schob die Grimmhexe ein Stück nach vorne, sodass Rosenblüte ihr direkt in das unschuldige Gesicht schauen musste. Grimelda zwickte sich ins Bein, damit sie auch ja ernst blieb und nicht gleich laut los lachte.

„Nein! Nein! Ich habe ihn mir doch extra eingerieben!“, protestierte da die Fee Rosenblüte entschlossen. Jetzt blubberte doch die Wut wie Tümpelgrütze in Grimelda hoch. „Hast du nicht behauptet, ICH sei es gewesen?!“ Prinzessin Rosenblütes Gesicht färbte sich nun wirklich leicht grünlich – aber nicht vor Neid, sondern vor Zorn. „Ach! Ich brauchte doch nur einen Grund, damit mir Mama und Papa ein neues Kleid für den Ball kaufen! Du, mit deinen sowieso schon dreckigen Händen einer Grimmhexe, warst die perfekte Schuldige! Warum hast du dich nicht einfach wieder in deinem finsteren Zuhause verkrochen?! Du verdirbst mir den ganzen Feenba…“ Erschrocken darüber, dass sie sich gerade selbst verraten hatte, schlug sich Rosenblüte eine Hand vor den Mund.

Klatschmohn und Hyazinth schnappten nach Luft. So etwas Gemeines hätten sie ihrer Freundin wohl doch nicht zugetraut. Prinzessin Tauschön und Grimelda aber, hatten aber schon geahnt, dass Rosenblatt stets an sich selbst dachte und dabei das Wohl der anderen außer Acht ließ.

Darum erklärte ihr nun die Prinzessin besonders streng: „Du entschuldigst dich nun bei Grimelda Grimmhexe.“ Tauschön hob das Kinn und ergänzte: „Und bis du dich in deinem Benehmen nicht gebessert hast, bist du im Feenschloss nicht erwünscht.“

Da erschien in einer Puffwolke Oma Griselind. Sie wedelte die letzten Rauchkringel weg und verkündete, begleitet von ein paar Hustern: „Meine Zauberkugel *hüstl* hat mir gezeigt, dass hier meine Unterstützung gebraucht wird.“ Mit einem breiten Grinsen, sodass man sehr gut ihre großen Zähne sehen konnte, schaute sie eine überrascht dreinschauende Fee nach der anderen und auch Grimelda mit einem Zwinkern an. „Wie ihr ganz bestimmt schon gemerkt habt, helfe ich immer gerne! So habe ich auch schon eine Idee, wie dieses reizende Dingelchen…“ Sie tippte Rosenblüte mit ihrem langen Krückstock an. „…die Sache wieder gut machen kann.“ Die alte Grimmhexe klatschte voller Vorfreude in die Hände und erklärte weiter: „Achtung! Sperrt eure spitzen Feenlöffelchen auf! Rosenblüte liest mit mir den Kröten im Moor das Märchen vom Froschkönig vor. Sagen wir….“ Die Oberhexe tippte sich an das Kinn mit den zwei Warzen. „Dreieinhalb Wochen lang. Die Quaker lieben diese Geschichte ebenso sehr wie ich und können sie gar nicht oft genug hören! So lernt Rosenblüte, etwas für andere zu tun. Vielleicht findet sie ja sogar Gefallen daran! Ist das eine schrecklich gute Idee, oder irre ich mich da?“ Tauschön und Grimelda nickten. Auch Rosenblüte murmelte ihre Zustimmung, immerhin wollte sie so schnell wie möglich wieder ins Schloss zurück.

Doch eines fehlte noch… Grimelda räusperte sich. „War da nicht noch etwas?“ Nun waren es Klatschmohn und Hyazinth die Rosenblüte nach vorne schoben. Die Fee schaute ihre Freundinnen finster an, hob dann aber doch den Kopf mit einem Lächeln – wenn es auch nicht besonders herzlich aussah. „ENTSCHULDIGE Grimelda. Ich hätte dich nicht falsch beschuldigen dürfen.“

Grimelda stellte sich die Fee mitten im Schlamm vor, wie sie den Kröten etwas aus einem Märchenbuch vorlas. Die kleine Grimmhexe sollte sich darüber freuen, dass der Fee Rosenblüte solch eine Lektion erteilt wurde. Doch sie konnte einfach nicht so gemein sein. Darum wurde ihr grimmiger Gesichtsausdruck etwas weicher, als sie ihr versprach: „Tauschön und ich werden dich möglicherweise mal besuchen kommen… Nur um zu schauen, ob du noch nicht im Matsch versunken bist.“

Rosenblatt war verblüfft, dass die Grimmhexe nach all den gemeinen Sachen, die sie zu ihr gesagt hatte, so nett war. Etwas kleinlaut fragte sie: „Bringt ihr auch Kirschsaft und Brombeermuffins mit?“ Grimelda und Tauschön lachten: „Darauf kannst du dich verlassen! Im Moor werden wir ganz bestimmt das beste Picknick aller Zeiten haben. Klatschmohn und Hyazinth sind natürlich auch eingeladen!“

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